14.05.2006 Frankfurter Allgemeine
Sonntagszeitung
/ Feuilleton S.31 1/4 Pressespiegel
So schön, daß es weh tut
Gilberto Gil, Musiker und brasilianischer Kulturminister.
über Fußball, Lebensfreude und Mut zum großen Gefühl
Im unverändert modernen Palácio
Gustavo Capanema in Rio de
Janeiro trifft vieles aufeinander,
woraus Brasilien sich zusammen-
Nein,
diese Fahrten waren von den Portu-
giesen gut geplant. Später kamen
weitere Europäer, Araber, natür
die Sklaven aus Afrika, und
Pal-
hier lebten schon die indianischen
Ureinwohner. Ganz unterschiedli-
che Kulturen haben also dazu bei-
getragen, unsere Kultur zu for-
Drückt sich das auch in der Mu-
sik aus?
Was war Bossa Nova? Es war ein
Samba, dessen Rhythmus und Me-
lodie von den afrikanischen Ein-
Elemente aus der
wohnern geprägt war, dazu kamen
Musik, Pop aus Spanien, Portugal
europäischen
und Italien und Elemente aus der
amerikanischen und südamerikani-
schen Musik. Musikalische Bewe-
gungen wie Bossa Nova oder Tro-
picália sorgten auch dafür, daß sich
die vielfältige Dimension unserer
Kultur noch weiter ausdehnte.
Viel-
eine
setzt. Der Blick k geht auf die Dach-
terrasse, wo perfekt angelegte Pal-
men und Sträucher von schäbigen
Hochhäusern bedrängt werden,
nialzeit verschwindet fast zwischen
men.
ihnen. Der Capanema-Palast wur-
Ab wann kann man von einer ei-
de von Le orbusier entworfen,
der einst der brasilianischen Mo- genständigen brasilianischen Kul-
trer sprechen?
derne den entscheidenden Schub
Von Anfang an. Als die Portugie-
gab. Im Innern des Gebäudes ist
sen an Land gingen und auf die In-
der Teppich kurvig ausgeschnitte dios am Strand trafen, feierten sie leicht wollte man durch diese Strö-
der Kulturminister
steht darauf, er trägt einen ergraun spielten Gitarre, die Indios tanzten
erst mal ein
Fest. Die Portugiesen
ten Rastazopf und wird gerade von
berto Gil ist der John Lennon von
Fernsehteam interviewt. Gil
Portugiesen ihre eigene Kultur, ihr
Brasilien
Christentum sanft aufdrängen, an-
dererseits zeigten sie
ein großer
Kämpfer für Rechte
, manchmal
für die alten Bräuche der Indios,
auch ein Träumer, der heute ein
Amt mit Gitarre begleitet. Das
dieses Aufeinandertreffen
eine große Kraft, denn die
kann man sich ungefähr so vorstel- eine
len, als wäre Herbert Grönemeyer schen fingen an, voneinander
Kulturminister. Während des Ge-
sprächs sitzen zwei Presscodichten, Brasilien ist nichts für Anfänger.
bis heute an. . Brasilien ist komplex.
ten, die
mit auf dem Sofa in
seinem
Es ist
Land leben
Gilberto Gil dann Kultur. In unserem
aime Carde Siebziger-Jahre-Sportta,
mehr Libanesen als im Libanon,
Sche, beginnt zu plaudern, vergißt sche Gemeinschaft außerhalb Ja-
japani-
pans. Wir haben keine
multikultu-
relle Gesellschaft, wir haben eine
interkulturelle Gesellschaft.
Und doch wünschen sich die mei-
sten Bewohner dieses Landes, daß
wandelt, sobald man bierber
man sich in einen Brasilianer ver-
Tommt.
hatte
Men-
zu
scheinbar, daß er ein Minister ist,
und der Augenblick gehört wieder
der Improvisation.
In Deutschland ist bald Weltmei-
und in den Anzeigen
und TV-Spots für die WM steben
sambatrunkene, frobe Brasilianer
im Mittelpunkt, als wären sie al-
verantwortlich für die gute Aber Brasilianer zu sein bedeutet
Laune.
une. Das ist die Oberfläche der nicht, eine Sache zu sein. Es bedeu-
brasilianischen Kultar - mas sind tet, vieles zu sein. Das erste, was
man tun muß, um ein Brasilianer
ibre Wurzeln?
der brasilianischen Kul- zu werden, ist die Verschiedenheit
tur ist die Vielfalt ihrer Wurzeln, als Wert zu erkennen.
Es beginnt schon mit den portugie-
sischen Seefahrern, wobei ich übri-
gens nicht glaube, daß sie unser
Land einfach entdeckten, das
Wort „Brasilien findet man näm-
lich schon in geheimen Karten zu
Anfang des 2. Jahrtausends.
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