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Unter den Erstlingsarbeiten in Öl, die der junge Gebrauchsgraphiker Menzel bis 1839 anfertigte, sind mehrere Alltagsszenen aus dem 17. Jahrhundert – von meist mittlerer Größe. Zu ihnen zählt das nach 1906 verschollene Bild »Der Gerichtstag« (76 × 97 cm; Abb. in: H. von Tschudi, Adolph von Menzel, München 1905, S. 5, Kat.-Nr. 6), zu dem die Nationalgalerie den Farbentwurf besitzt. Nicht ohne Stolz darauf, »doch innerhalb der lezten 1 1/2 Jahre fast ununterbrochen beim Malen geblieben« zu sein, schrieb Menzel: »Es ist ein kurieuser Gegenstand: ein Criminalverhör, ich wählte ihn nur um ein Feld zu mancherlei phisiognomischen Studien zu haben« (Adolph Menzel, Briefe, Bd. 1, Berlin 2009, S. 111).
Vor dem Richter klagt die Familie einer ermordeten Frau die Verdächtigen an, die in Ketten hereingeführt worden sind. Daß dies unmittelbar vor dem Leichnam geschieht, entspricht dem sogenannten Bahrrecht, jener archaischen Unschuldsprobe, die im 17. Jahrhundert nur noch ausnahmsweise angewandt wurde, aber dem Maler höchste Anschaulichkeit ermöglicht: Der Witwer mit den in die Höhe gestreckten Fäusten erinnert an Kriemhild vor dem toten Siegfried, dessen Wunden angesichts des Mörders Hagen wieder bluten, und laut germanischem Recht gehörte sein lautes Schreien zur ›Klage mit dem toten Mann‹. Man könnte auch Reminiszenzen aus dem Theater vermuten. Die Anordnung des Ganzen wird bestimmt von der nüchternen Zweckarchitektur der Gerichtsschranken: davor die dramatische Gegenüberstellung von Schuld und Leid, darüber in einem bewegten Nebeneinander, das an holländische Gildenporträts erinnert, die Vertreter des Gerichts. Bei der Umsetzung der Skizze in das größere Format erhielt einer der beiden Angeklagten ein vornehmeres Aussehen und wurde damit zum Anstifter der Tat – ein Liebhaber? Wichtiger: der Diener, der die Tote enthüllt, blieb ausgespart. Mit dieser späten Korrektur – die Figur wurde noch durch eine 1838 datierte Bleistiftstudie (Staatliche Graphische Sammlung, München) vorbereitet – sollte vielleicht nur die spiegelbildliche Wiederholung der zu dem Kind gebückten Magd vermieden werden; doch damit erhielt der Leichnam eine zuständliche Starre, die den Aufschrei des Ehemannes erst vernehmbar macht. Die rechts durch ein Schmiedegitter abgeschlossene Komposition wurde insgesamt flacher und übersichtlicher. Noch 1863 meinte der Kunstkritiker Max Schasler, dem Menzels friderizianische Bilder immer suspekter erschienen, »Der Gerichtstag« – in seiner großen Fassung – sei »das bedeutendste und in jedem Betracht schönste« seiner Bilder und verdiene »den feinsten Werken eines Delaroche oder Gallait an die Seite gestellt zu werden« (in: Dioskuren, 8. Jg., 1863, H. 48, S. 369). Während der Arbeit an diesem Bild, das im Herbst 1839 ausgestellt werden konnte, erreichte den Künstler der Auftrag, Franz Kuglers »Geschichte Friedrichs des Großen« (erschienen 1840–1842 in 20 Lieferungen) zu illustrieren, und bis 1843 verzichtete er ganz auf das Malen. | Claude Keisch

Details

  • Title: The court day. Sketch
  • Creator: Adolph Menzel
  • Date Created: 1838
  • Physical Dimensions: 29,1 x 36,1 cm
  • Type: Painting
  • Technique and material: Oil on canvas
  • Inv.-No.: A I 896
  • ISIL-No.: DE-MUS-815114
  • External link: Alte Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin
  • Copyright: Photo: © Alte Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin / Klaus Göken
  • Collection: Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin - Acquired 1971
  • Artist dates: 8.12.1815 - 9.2.1905

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