Das Rankenkapitell ist aus der Grundform des Würfels entwickelt und an allen vier Seiten ausgearbeitet. Aus gespiegelten, in der Mitte zusammen gebundenen Ranken an den Seiten und Ecken des Kapitells wachsen Palmetten. Es stammt aus dem Benediktinerkloster auf dem Huy, ein in fränkischer Zeit militärisch genutzter Höhenrücken im nördlichen Harzvorland. Von Beginn an stand das Kloster unter dem Schutz der Halberstädter Bischöfe, Burchard I. hatte neben der Marienkapelle auch eine Pfalz errichtet. Die Klosterchronik des 12. Jahrhunderts erwähnt die Fertigstellung des „monasteriums“ noch in der Regierungszeit Abt Alfrieds. Der Kreuzgang, der noch stehende, zweigeschossig gewölbte Bau an der Westseite des Südflügels und möglicherweise auch Gebäude östlich der Kirche können erst nach 1150 fertiggestellt worden sein. Dieser späteren Phase gehört wohl auch das Kapitell an. Im südlichen Abschnitt des Ostflügels hat es noch einen Zweistützenraum mit den bekannten Basen gegeben, in dem dieses Kapitell aufgestellt gewesen sein könnte.
Die Bildhauer, die im dritten Viertel des 12. Jahrhunderts zum Ausbau der Huysburger Klausurgebäude herangezogen wurden, haben unter Verwendung des in Sachsen seit dem 11. Jahrhundert üblichen Würfelkapitells, aber auch der korinthischen Ordnung, vor allem durch die ausgeprägte Dreidimensionalität der Formen neue Maßstäbe in der Region gesetzt.
Das ornamentale Kapitell ist eng mit der Bauskulptur des nördlichen Harzvorlandes verbunden und man kann davon ausgehen, dass die meisten der auf der Huysburg tätigen Bildhauer in sächsischen Werkstätten ausgebildet wurden und wohl auch an verschiedenen Baustellen der Region tätig waren.
(Auszug aus: Tobias Kunz, Bildwerke nördlich der Alpen. 1050 bis 1380. Kritischer Bestandskatalog der Berliner Skulpturensammlung, Petersberg, Michael Imhof Verlag 2014)