Die Zeit - Musik : Ein Samba für Berlim
DIE ZEIT
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Ein Samba für Berlim
Der brasilianische Kulturminister, Gitarrist und Sänger Gilberto Gil besucht die deutsche Hauptstadt- und
singt ihr ein Lied mit "m"
Von Maxi Sickert
Stockholm im Mai 2005: Ganz in schwarz gekleidet, die Rastazöpfe nach hinten gebunden, nimmt Gilberto Gil
die Urkunde aus der Hand des schwedischen Königs entgegen. Den Polar Prize, eine der höchsten
Auszeichnungen für Musik, der seit 1992 jedes Jahr von der Königlich-Schwedischen-Musikakademie an je einen
Musiker aus dem Bereich der populären wie der klassischen Musik verliehen wird. Auf einer Stufe mit dem
Nobelpreis, deri es für Musik nicht gibt, und dotiert mit einer Million schwedischer Kronen.
Ein Poet der Musik sei er, steht in der Begründung des Komitees. Ein großartiger Komponist, inspiriert von
seinem Talent, getrieben von der Neugier, ein musikalischer Botschafter, der eine wichtige Rolle spiele in der
Modernisierung brasilianischer, populärer Musik. Der Stellung beziehe in Gesellschafts- und Umweltpolitik und
zum Umgang der Geschlechter miteinander.
Einige Monate später in Berlin. Es ist Dezember, ein grauer, winterkalter Tag. Gilberto Gil - Sänger, Gitarrist,
Umweltschützer, Makrobiotiker und Minister für Kultur von Brasilien - sitzt in einem grauen Samtsessel auf der
Bühne des Hauses der Kulturen der Welt. Ein seltsam rundes, geschwungenes Gebäude, das sich vom Tiergarten
aus an die Spree erstreckt. Die nackten Zweige der Bäume weisen in den Himmel, reifbedeckt, an den Rändern
des Flusses hat sich ein dünner Eisfilm gebildet.
Gil präsentiert seine Idee der Copa da Cultura, ein brasilianisches Kulturprojekt zur Fußball-Weltmeisterschaft in
Deutschland, das mit Ausstellungen in Hamburg und Berlin bereits begonnen hat. Brasilianische Schriftsteller,
Maler, Fotografen, Architekten und klassische Musiker sollen einem internationalen Publikum den Blick weiten
über Fußball, Karneval und Samba hinaus.
Und doch ist es ein Samba, der den Saal im Haus der Kulturen der Welt plötzlich still werden lässt. Eine
einfache, klare Melodie, leise und unbegleitet. Ein Lied, von ihm für die Fußball-Weltmeisterschaft und die Copa
da Cultura komponiert. Auch Berlin kommt darin vor, Berlim auf Portugiesisch. Er singt im Sitzen, mit
übereinander geschlagenen Beinen, die Hände auf den Armlehnen. In eben jener Pose, in der er vorher noch
ganz Minister war, ganz Diplomat. Es ist ein seltsamer Moment eine Einlage, mit der niemand gerechnet hatte.
Gil war Anfang der sechziger Jahre Mitbegründer der kulturellen Gegenbewegung des Tropicalismo. Ihretwegen
musste er vor der damaligen Militärregierung ins Exil nach London flüchten. Nach seiner Rückkehr setzte er sich
für die Bewegung der Negritude ein, des schwarzen Selbstbewusstseins der Afro-Brasilianer, der Nachfahren
ehemaliger Sklaven. Wegen der Hautfarbe benachteiligt zu sein - davon sang er in seiner Triologie Refazenda/
Refavela/ Realce, die zwischen 1975 und 1979 entstand.
Zur Förderung des Umweltbewusstseins in Brasilien gründete er 1987 die Onda Azul, die Blaue Welle, eine
Stiftung zur Entwicklung von Projekten mit dem Ziel, den Zusammenhang zwischen sauberem Wasser und
Lebensqualität ins Bewusstsein zu rücken.
Er trat beim Montreux Jazz Festival auf und spielte für MTV ein Uplugged-Konzert, Acustico MTV. Als er 1999 für
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