Marcus Aurelius Severus Antoninus, schon zeitgenössisch mit dem Spitznamen Caracalla (nach dem gallischen Kapuzenmantel) bedacht, gelangte nach dem Tode seines Vaters Septimius Severus (reg. 193–211) zusammen mit seinem jüngeren Bruder Geta an die Herrschaft. Die gemeinsame Regierung endete schnell mit der Tötung des Geta und vieler seiner Anhänger auf Befehl des Caracalla im Jahre 212. Der Kaiser selbst wurde nach fünf Jahren der Alleinherrschaft am 8. April 217 in Mesopotamien ermordet.
Caracallas großes Vorbild war Alexander der Große, den er durch sein Verhalten und sein Äußeres nachzuahmen suchte: »Er war ein so leidenschaftlicher Verehrer Alexanders, dass er sich gewisser Waffen und Trinkgefäße bediente, von dener er glaubte, dass sie einmal jenem gehört hätten; außerdem ließ er viele Bildnisse von ihm aufstelen...« (Cass. Dio 78, 7, 1). Auch soll er in seinen Gesten und seiner Mimik den Makedonen nachgeahmt haben.
Das Berliner Porträt zeigt das Bildnis des Caracalla zusammen mit einem den gesamten Oberkörper umfassenden Büstenausschnitt, wie er seit dem 2. Jahrhundert n. Chr. in Mode gekommen war. Bis auf den über die linke Schulter geworfenen Feldherrnmantel (paludamentum) und den Schwertgurt (balteus) ist der Kaiser unbekleidet. Neben militärischen Qualitäten wird damit auch eine heroische, dem alltäglichen Leben enthobene Sphäre formuliert.
Der Kopf ist in einer heftigen Bewegung zur linken Schulter gedreht. Der Schädel ist gedrungen und rundlich; die Haare liegen, in knotenartigen Erhebungen aufgelockert, eng am Kopf an. Über der Stirnmitte sind die einzelnen Locken stärker zusammengefasst und nach oben hin aufgebauscht. Dieses Haarmotiv kann als eine Anspielung auf die Frisur Alexanders des Großen verstanden werden (›Anastole‹). Des weiteren trägt Caracalla einen kurzen Schnurr- und Wangenbart. Besonders markant ist die le- bendige Darstellung der Gesichtszüge. Auf der Stirn und am Ansatz des Nasenbeins befinden sich zahlreiche horizontale und vertikale Falten, welche als zusammengehö- riges System die energische Bewegung und Erregtheit der gesamten Physiognomie ausdrücken. Auch die Zeichnung des ausrasierten Kinns und des kleinen, nicht ganz ge- schlossenen Mundes unterstützt diesen Gesamteindruck. Neben der Nachahmung Alexanders wird sein Bildnis auch von Zitaten des Athletenbildes bestimmt.
Diese Bildnisfassung – der sogenannte erste Alleinherrschertypus – löst im Jahre 212 ältere des jungendlichen Thronfolgers Caracalla ab und bleibt bis zum Jahre 217 gültig. Mit diesem Porträt präsentiert sich der Kaiser in völliger Abkehr zur Darstellungsweise seiner Vorgänger als energischer, dem athletischen und militärischen Ideal verpflichteter Autokrat (»Selbstherrscher«).