Der römische Kaiser Gallienus (reg. 253–268 n. Chr.) sah sich mit zahlreichen Auswirkungen der krisenhaften Situation des römischen Reiches konfrontiert. Usurpationen und Einfälle barbarischer Stämme bedrohten neben finanziellen Problemen die Integrität des Reiches und veranlassten das Kaiserhaus zu ersten Reformen der Militär- und Provinzverwaltung. Gallienus herrschte zunächst zusammen mit seinem Vater Valerianus (Kaiser ab 253), wobei der Sohn für den Westen und der Vater für den Osten zuständig war. Als Valerianus 260 in die Gefangenschaft der Sassaniden geriet, aus der er nie wieder entlassen werden sollte, übernahm Gallienus die alleinige Herrschaft. Dieses Marmorbildnis war ursprünglich für den Einsatz in einen heute verlorenen Statuenkörper bestimmt. Das Porträt charakterisieren eine zwar eng am Kopf anliegende, aber dennoch plastisch gestaltete Haarkappe und ein detailreich ausgearbeiteter, sorgfältig ausrasierter Wangen-, Schnurr- und Kinnbart. Die einzelnen Gesichtspartien sind harmonisch aufeinander abgestimmt und durch leichte Stirn- und Nasolabialfalten sowie eine Furche an der Oberlippe gegliedert. Dieser Kopf gehört, wie der Vergleich mit datierten Münzbildnissen zeigt, in die Zeit der gemeinsamen Herrschaft von 253–260 n. Chr. Zusammen mit weiteren rundplastischen Porträts bildet der Berliner Kopf eine anhand der Frisur, Physiognomie und gestreckten Kopfform fest umrissenen Gruppe, die als sogenannter Samtherrschaftstyp bezeichnet wird. Die Bedeutung dieses Bildnistyps des Gallienus liegt insbesondere in der nun wieder anzutreffenden Plastizität der Frisur, die hier eine neugewonnene Qualität in der Bildnisaufassung bedeutet. Zuvor waren die Kaiserbildnisse der Jahre von ungefähr 220 bis 250 durch flächig gestaltete Haarkappen und den Einsatz von kerbartigen Linien zur Frisurzeichnung gekennzeichnet. Nun sollte offenbar durch eine plastisch ausgearbeitete Akzentuierung der Haarsträhnen an der Stirn nicht nur eine Wiedererkennung gewährleistet werden; gesucht wurde vielmehr auch ein Anschluss an ältere Bildnistraditionen der julisch-claudischen Zeit (27 v. bis 68 n. Chr.): Zusammen mit den ähnlich gearbeiteten Bildnissen des Vaters Valerianus sollten auch die seines Sohnes als die zweier Vertreter derselben Dynastie erkannt werden.