Lesser Ury, der Außenseiter, fand früh zu modernen Positionen in seiner Kunst. 1882 war er in Brüssel Schüler von Jean-François Portaels, der ihn an Léon Bonnat in Paris weiterempfahl. In Paris gelang dem Zwanzigjährigen mit diesem Blumenstilleben ein frühes Meisterwerk. Die Absicht Urys war auf Farbe gerichtet, die Malweise ihm offensichtlich wichtiger als der Gegenstand. Verschiedenen Vorbildern folgend – Gustave Courbet, Édouard Manet, vielleicht Henri Fantin-Latour –, fand er seinen eigenen Weg, die ätherische Essenz der Erscheinung rein aus der Anschauung und aus den Möglichkeiten seiner Palette heraus zu entwickeln. Der junge Lesser Ury arbeitete, im Unterschied zu den Impressionisten, mit betonten Hell-Dunkel-Kontrasten. Der Hintergrund dieses Bildes ist aus zahlreichen Schattierungen von Schwarz und Braun aufgebaut, vor der tiefsten Dunkelheit stehen die flirrenden Blüten. Sie bieten die Motivation für die Gestaltung einer Farbfläche. »Die Farben werden fest aufeinander, aneinander gefügt, fast gemauert, ohne ängstliches Vertreiben und Ausgleichen der Pigmente, damit die Bewegtheit, das unaufhörliche Leben der Wirklichkeit ohne konventionelle Glätte sich offenbare«, formulierte Max Osborn in seiner Würdigung des Malers (Westermanns Monatshefte, 1913, H. 681, S. 341). Mehr als den Werken der französischen Anreger ähneln Urys Stilleben aber denen von Carl Schuch, der ebenfalls 1882 nach Paris gekommen war. Ob hier gleiche Einflüsse wirksam waren oder ein Kontakt bestand, muß dahingestellt bleiben. Die rechts hinter den Blumen nur schemenhaft angedeutete Plastik könnte die Überlieferung bestätigen, daß Ury in Paris bei einem Bildhauer gewohnt habe. | Angelika Wesenberg