Das Kelchblockkapitell ohne figürlichen Schmuck ist allseitig ausgearbeitet und dürfte frei gestanden haben. Die vier Seiten sind auffällig unregelmäßig mit Rankenwerk geschmückt, was keinen sehr geübten Bildhauer, geschweige denn eine routinierte Bauhütte verrät. An den Ecken über dem gerundeten Halsring stehen stark gekehlte Blätter, über denen die Voluten von den Enden zweier hier zusammenlaufender Ranken gebildet werden. Diese sind an den Kapitellseiten jeweils paarweise und spiegelgleich angeordnet. Drei Seiten sind weitgehend identisch: Die Ranken sind mit einem Perlstab geschmückt und unten zusammen gebunden. Die vierte Seite weicht durch die gezackte Rankenform ohne Perlstab leicht davon ab.
Das Kapitell muss für eine allansichtige Aufstellung vorgesehen gewesen sein. Es könnte einen Portikus vor dem Portal getragen haben; auch ein kleinerer Altarbaldachin oder eine Chorschranke kommen in Frage.
Die Skulpturen im Paradies am Nordquerhaus des Lübecker Doms sind nicht vor 1250 ausgeführt worden – eine Datierung, die für das Berliner Kapitell etwas zu spät erscheint, auch wenn gebündelte Ranken und stehende, stark gekehlte Eckblätter um diese Zeit durchaus noch vorkommen, wie unter anderem die ornamentale Bauskulptur am Lübecker Domparadies zeigt.
(Auszug aus: Tobias Kunz, Bildwerke nördlich der Alpen. 1050 bis 1380. Kritischer Bestandskatalog der Berliner Skulpturensammlung, Petersberg, Michael Imhof Verlag 2014)