Eine der dramatischsten Szenen aus dem Mythos um die Heimkehr des Odysseus ist auf diesem Trinkbecher (Skyphos) dargestellt: die Ermordung der Freier, die seine Frau Penelope während seiner langjährigen Abwesenheit belagert hatten, durch den heimgekehrten Helden (Homer, Odyssee 22. Gesang).
Wie ein einziger Fries gehören inhaltlich und formal die Bilder der beiden Seiten des Trinknapfes zusammen, auch wenn sie unterbrochen sind durch das Palmetten- und Rankenwerk unter den Henkeln: Auf der einen Seite sehen wir den durch Namensbeischrift bezeichneten bärtigen Odysseus, der noch als Sklave mit einer Exomis, dem kurzen Arbeitsgewand, verkleidet ist. Er wird in dem Moment höchster Anspannung dargestellt, wie er mit der Linken den Bogen hält und mit der Rechten, einen Pfeil eingelegt, die Sehne zum Abschuß strafft. Hinter ihm stehen zwei Mägde mit kurzem Haar in dorischem Chiton, die abwartend und ängstlich das Geschehen verfolgen. Über ihnen erscheint zweimal die Inschrift kale (griechisch für ›schön‹).
Auf der anderen Seite wird das Ziel der Pfeile gezeigt: Drei der beim Gelage aufgeschreckten Freier, die auf und neben einer Kline von dem Pfeilbeschuss überrascht werden. Alle drei Männer sind nahezu unbekleidet und mit den Binden des Symposions geschmückt. Die lose um den Leib gelegten Mäntel sind herabgeglitten und behindern die Männer in ihren Aktionen. Links kniet in Rückenansicht ein Jüngling auf dem Fußende des Ruhebettes. Er ist von einem Pfeil in den Rücken getroffen worden und versucht ihn mit beiden Händen herauszuziehen. In der Mitte vor der Kline kauert ein bärtiger Freier, der den Speisetisch gleichsam als Schutzschild gegen die Pfeile vor sich hält. Der dritte der Männer hat sich auf der Kline liegend offenbar erst aufgerichtet und hält in einem hilflosen Abwehrgestus die Hände vorgestreckt. Auch über ihm sind Reste der Inschrift (k)alos zu sehen.
In dem Verhalten der Männer werden gleichzeitig drei Phasen des Geschehens deutlich: die Furcht und die Verteidigung vor, sowie der Schmerz nach dem Beschuss. Es ist anzunehmen, dass ein verlorengegangenes Gemälde der polygnotischen Wandmalerei die Vorlage für dieses Vasenbild war. Mit der Darstellung vermittelt der anonyme Vasenmaler, der nach einem Skyphos in Chiusi mit der trauernden Penelope ›Penelope-Maler‹ genannt wird, eine Vorstellung von der Monumentalmalerei der hochklassischen Zeit, von der Schriftquellen berichten. Dabei ist jedoch offenbar keine exakte Kopie der Darstellungsinhalte angestrebt worden, sondern eher eine Verdichtung des Geschehens durch formale und kompositorische Kunstgriffe (Spannung zwischen Staffelung und Reihung).