Georg Friedrich Kerstings Gemälde »Reinhards Studierstube« trägt auf der Rückseite einen Aufkleber mit der Abschrift eines Artikels des Archäologen Karl August Böttiger: »Ein wackerer Dresdener Künstler, Kersting, hat sein schon anderweit erprobtes Talent in der Manier der großen Niederländer, eines Slingeland, Terborch usw. durch eine Darstellung von Reinhards Studierstube mit allen Umgebungen, den Bewohner selbst an seinem Arbeitstisch nicht vergessend, sehr gut beurkundet« (vgl. den Artikel Böttigers in: Kunst-Blatt, Beilage des Morgenblatts für gebildete Stände, 1816, H. 13, S. 50). Kersting hat den Dresdner Theologen, Luther-Forscher und Hofprediger Franz Volkmar Reinhard (1753–1812) in einem sogenannten Innenraumporträt dargestellt. Auf den Dresdner Akademieausstellungen hatte er bereits mehrere Bildnisse dieser Art mit Erfolg gezeigt. Wilhelm von Kügelgen beschrieb sie mit Einsicht: »Er malte […] in kleinem Format […] sehr saubere Porträts, ganze Figuren, und in einer Umgebung, die ebenfalls Porträt war. Es ist von unleugbarem Interesse, geliebte oder ausgezeichnete und denkwürdige Personen in der ihnen eigentümlichen und ihrem Berufe angemessenen Umgebung zu sehen, die, wo sie sich auf charakteristische Weise gestaltet hat, keine Zufälligkeit mehr ist, so wenig als das Haus der Schnecke, das aus ihr selbst hervorgeht« (W. v. Kügelgen, Jugenderinnerungen eines alten Mannes, Leipzig 1924, S. 94).
Kersting bediente sich dieses neuartigen Bildtyps, um mit dem Vorzeigen der spezifischen häuslichen Situation zugleich auch Wesenszüge seiner Modelle offenzulegen. So ist der in seine Lektüre vertiefte Reinhard in seiner wohlaufgeräumten, übersichtlich möblierten Studierstube zu sehen. Die zur Hand liegende Bibel, Schadows Lutherbüste in bronziertem Gips, das gefüllte Bücherregal, der Korb mit der Briefpost unter dem Schreibtisch und der auf einem Stuhl abgelegte Bücherstapel weisen auf einen Gelehrten. Doch setzt der ins Wohnmilieu einbezogene Fensterausblick in die Landschaft der Sächsischen Schweiz einen Akzent, aus dem ersichtlich wird, wie sehr dem Theologen auch die Bindungen nach draußen, in die Natur, wichtig waren. Caspar David Friedrich erwähnt dieses und das folgende Innenraumporträt in einem Brief an den Bruder Heinrich vom 26. März 1818: »Das Bild, meine Mahlerstube, ist dein und du kannst damit schalten und walten wie du willst. Ich erwarte aber von dir daß du es nicht verkaufest. Es ist hier aber ein ehnliches Bild von Kersting zu haben und zwar die Studirstube des berühmten Prediger Reinhart, wie er am Tisch sitzt und ließt. Durch das Fenster sieht man die Felsen: Königstein, Lilienstein, Pfaffenstein, kurz die ganze sächsische Schweiz in der Ferne. / Dein Bruder C. / Der Preis des Bildes ist 20 Ducaten« (Aus dem Leben Caspar David Friedrichs. Geschwisterbriefe, Greifswald 1924, S. 25). | Gerd-Helge Vogel
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