Zu Degas' experimentierfreudigsten Arbeiten zählt eine Gruppe von 19 Fächern aus den Jahren 1878 bis 1880. Von besonderem Einfluss auf sein Werk war zu dieser Zeit die japanische Kunst, zu deren ersten Sammlern der Künstler gehörte.
Rasch nutzte er ihre wichtigsten Charakteristika für seine eigene Arbeit: ungewöhnliche Perspektiven, Asymmetrien, flächige Bildaufbauten, unvermittelte Beschneidungen oder Kontraste von leerem und gefülltem Bildraum, dazu das Verfließen der Farben in einem gelenkten Zufall. Bei einem Fächer ist vor allem der halbkreisförmige Streifen des Bildformats eine künstlerische Herausforderung. Zur realen Nutzung waren die auf schimmernde Seide gemalten Kunstwerke von Degas nicht gedacht - wie die japanischen Exemplare, die es als Blattfächer und Faltfächer gab, wurden sie neben Gemälde oder Zeichnungen an die Wand gehängt.
Gezeigt ist eine abendliche Vorstellung von Emilie Bécat im populären Gartenlokal »Café des Ambassadeurs« an den Champs-Elysées, wo die Chansonsängerin für ihre tänzerischen Darbietungen in einem »style épileptique« gefeiert wurde. Mlle Bécat erscheint ganz am rechten Rand in Rückansicht und im Gegenlicht. Schwungvoll schürzt sie mit der Rechten ihr rotes Kleid, während sie die Linke rhythmisch zur Seite bewegt. Wie eine Aureole hinterfangen kugelförmige Gaslampen ihren Kopf, eine graue Stange grenzt die Szene ab und zerteilt den Bildraum im exakten Verhältnis 1:2.
Entgegen der gewohnten Leserichtung wandert der Blick nach links über die Stange und über weitere Kugellampen hinweg zu Schlieren und Klecksen in graugrünen Wasserfarben, in denen das belaubte Gartenlokal verschwimmt - der Blick beginnt zu flottieren. Eine raffiniert konzipierte, doch scheinbar zufällige Komposition und Malweise lässt den Betrachter die tänzerische Bewegung der Sängerin visuell nachvollziehen und sich selbst im Gartenlokal wähnen, wo sich sein schweifender Blick im schattigen Laub verliert.
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