Am 3. September 1840, während seiner ersten Reise nach Venedig, berichtete Carl Spitzweg seinem Bruder Eduard in München: »Venedigs Nähe lockt ganz verdammt – aber ich verdien’s nicht – ich komm nicht zum Arbeiten. Überhaupt, um italienische Sachen zu malen, müßte man länger da seyn und die Charaktere des Volkes studieren, die Kleider und Häuser machen’s nicht aus […]« (zit. nach: S. Wichmann, Carl Spitzweg und die französischen Zeichner, München 1985, S. 26). Später, 1845 und 1850, hatte er noch einmal Gelegenheit, in die Lagunenstadt zurückzukehren, um genauere Studien zu treiben, in deren Ergebnis einige italienische Landschaften und Straßenszenen entstanden (vgl. G. Roennefahrt, Carl Spitzweg, München 1960, S. 196–199). Doch Spitzweg interessierte sich in der Serenissima nicht für deren prachtvolle Schönheit, die kostbaren Kirchen und Marmorpaläste, die in der Regel die Vedutenmaler seit Gentile Bellini faszinierten, sondern für die schmalen und engen Gassen der dunklen Häuserschluchten, die sich hin und wieder an den Kreuzungspunkten mit den Kanälen zu kleinen Plätzen öffnen. Im steilen Hochformat zeigt Spitzwegs »Straße in Venedig« solch einen Platz im Anschnitt. Hier tanzt ein kleines Mädchen unbekümmert zur Musik eines Drehorgelspieler und eine Gruppe von Kindern hört und schaut zu. Spitzweg gibt mit der malerischen Szene auf dem von hohen Häusern umsäumten Platz eine pittoreske Alltagsidylle. Mit feinem Gespür und lockerem Pinselstrich ist den Valeurs von Licht und Schatten auf dem alten Gemäuer nachgespürt. | Gerd-Helge Vogel