Wer ist die Dame, die sich uns mit interessiertem Blick zuwendet? Sie lebte in Wien, als sich alles um Jugendstil und Secessionismus drehte. Der berühmte Gustav Klimt hielt ihr Antlitz mit ein paar Strichen fest. „Peintre à femmes" – Gustav Klimt als „Leib- und Hofmaler eines neuen, modernen Frauentypus, wie er zur gleichen Zeit in Wien in manchen Werken von Arthur Schnitzler beschrieben und in vielen Sitzungen von Sigmund Freud analysiert wurde: die großbürgerliche Dame (meist jüdischer Provenienz) der Jahrhundertwende, hypersensibel, weltklug und nervös, spätbürgerlich im Raffinement, noch bürgerlich im Beachten von Tabus, aber voll von ,emotionalen Energien, Heftigkeiten, die nicht mehr zu stillen wären, wenn sie einmal in Brand gerieten […]‘." (1)
Fritza Riedler wurde am 9. September 1860 als Friederike Langer in Berlin geboren. Gemeinsam mit ihren Geschwistern Paul, Emilie und Alfons besaß sie später in der Wiener Hahngasse 14 ein Haus (2). Paul war Maschinenbauingenieur und Konstrukteur, Alfons wurde Staatsanwalt. Welchen Betätigungen Fritza und ihre Schwester Emilie nachgingen, ist nicht bekannt. Der 1850 geborene Alois Riedler, Fritzas Ehemann, war ein hochdekorierter (3) Maschinenbauingenieur. Der gebürtige Grazer machte sich als Konstrukteur und Reformer des Maschinenbaustudiums einen Namen. 1888 wurde er an die Technische Hochschule Berlin-Charlottenburg berufen. Hier lehrte und forschte er bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1921 und gründete das erste Maschinenlaboratorium (4) der Welt. Bemühungen von öffentlicher und privater Hand, Alois Riedler als Professor nach Wien zu holen, scheiterten, was in der Ausgabe 1903/04 der Zeitschrift Die Fackel heftig kritisiert wurde (5). Die Ehe blieb kinderlos. Alois und Fritza Riedler hatten Wohnsitze in Wien und Berlin. 1921 siedelten sie endgültig nach Wien über, wo Fritza 1927 und ihr Mann Alois 1936 verstarben.
Der Auftrag für ein Porträt dürfte bereits 1904 an Klimt ergangen sein, da ab diesem Jahr mehr als zwanzig Porträtzeichnungen entstanden, die sich heute u. a. im Kunstmuseum Bern, in der Neuen Galerie am Landesmuseum Joanneum in Graz, in der Wiener Albertina, im Wien Museum und in Privatbesitz befinden. Für das Jahr 1905 ist durch zwei Kartengrüße eine Reise Gustav Klimts nach Berlin belegt (6). Klimt stellte damals auf der 2. Deutschen Künstlerbund-Ausstellung im Ausstellungshaus am Kurfürstendamm 15 Gemälde aus. Er traf dort auf Ferdinand Hodler und erhielt, zusammen mit Hodler und Ulrich Hübner, den Villa-Romana-Preis, den er aber an seinen Malerkollegen Max Kurzweil abtrat.
Zu dieser Zeit betrieb Fritz Gurlitt, der Vater des Gründers der Neuen Galerie der Stadt Linz (Vorgängerinstitution des Lentos) Wolfgang Gurlitt (1888-1965), in der Leipziger Straße in Berlin eine Kunsthandlung und Galerie. Wolfgang Gurlitt übernahm diese Galerie im Jahr 1907. Die Klimt-Forscherin Alice Strobl berichtet über die enge Verbindung der Familie Gurlitt mit Künstlern der Moderne und erwähnt auch die Sympathie Ludwig Gurlitts, Wolfgangs Onkel, für Gustav Klimt. Außerdem überliefert sie, dass Wolfgang Gurlitt eine Sammlung von über 100 bis 120 Klimt-Zeichnungen erwarb (7). Aus dieser Sammlung stammt auch das vorliegende Blatt.
Klimt führte das Ölgemälde Fritza Riedler 1906 aus und bereits ein Jahr später war es in der Kunsthalle Mannheim ausgestellt. Fritza trägt ein aufwendig gestaltetes, weißes Kleid mit Rüschen, Volants und Maschen. Die „Faltenkonturen und die Nähte des Fauteuils [werden] so gut wie ausschließlich durch das Abbrechen der Wellen- und Augenornamente angegeben" (8). Einflüsse von Velázquez und der ravennatischen Mosaikkunst tragen zum ornamentalen, flächigen Charakter des Werkes bei. Das Gemälde ist das erste, in dem „geschlossene Goldflächen vorkommen" (9), und wird als das „erste quadratische Porträt der ‚goldenen Periode‘" (10) bezeichnet. Es befand sich bis zum Tode Fritza Riedlers im Jahr 1927 in ihrem Besitz und ging später auf ihre Schwester Emilie über. Seit 1937 ist es Teil der Kunstsammlung des Belvedere in Wien.
Klimt zeigt uns in der Zeichnung eine munter aus dem Bild blickende Frau. Betrachtet man die einzelnen Vorstudien, so lässt sich eine immer stärkere Hinwendung zum Betrachter feststellen. Trug Fritza auf den frühen Blättern eine Pelzstola, kommt diese in späteren Zeichnungen nicht mehr vor. Die Hände in den Schoß gelegt, richtet sich Fritza aus ihrem Fauteuil auf und scheint mit dem Betrachter (oder vielmehr dem Zeichner) zu kommunizieren. Alles ist in Bewegung: ihr Mund, ihre Augen, ihre Hände. Man spürt förmlich das Knistern und Rascheln ihres Kleides, das den schlanken Körperbau der Mittvierzigerin umschmeichelt. Im Vergleich zum Gemälde spart Klimt in der Vorstudie alle stilisierenden, ornamentalen Formen aus. Die Zeichnung fängt die geistesgegenwärtige Präsenz und das Charisma der Dargestellten ein, während im Gemälde Status, Repräsentation und moderne Stilelemente den Ton angeben. „Die Zeichnung dokumentiert die persönliche, subjektive, die augenblickliche Position Klimts. In der Zeichnung wirft sich der Blick Klimts auf die Welt. Was dann im Gemälde zurückbleibt, ist die Kunst." (11)
Quellen/Fußnoten: 1) Christian Brandstätter, in: Gustav Klimt, hg. v. Toni Stooss u. Christoph Doswald, Ausstellungskatalog des Kunsthaus Zürich, Stuttgart 1992, S. 325.; 2) Vgl. Gustav Klimt. 150 Jahre, hg. v. Agnes Husslein-Arco u. Alfred Weidinger, Ausstellungskatalog des Belvedere, Wien 2012/13, S. 184.; 3) Geheimer Regierungsrat, Träger der Franz Grashof-Denkmünze, Mitglied des Preußischen Herrenhauses, Träger der Goldenen Ehrenmünze des Österr. Ingenieur- und Architektenvereins etc.; 4) Vgl. Claus Priesner, Alois Riedler, in: Neue Deutsche Biographie (NDB), Bd. 21, Berlin 2003, S. 145.; 5) Victor Loos, Riedler in Wien, in: Karl Kraus (Hg.), Die Fackel, Jg. 5, Nr. 148, 02.12.1903, S. 11: „Riedler ist der führende Maschineningenieur der Welt. Was soll er also in Österreich? […] Die Zeitungen hatten den Humor, anläßlich seiner jüngsten Anwesenheit in Wien zu verkünden, Riedler werde eine Berufung an die Wiener Technik erhalten. Man höre wohl: an die Wiener Technik! […] Der Gast soll sogar die Technik besucht haben. Er fand sie noch eben so jugendfrisch, wie zur Zeit seiner eigenen Jugend, da er dort als bescheidener Assistent wirkte. […] Riedler hat zuerst von Wien ans [sic!] die Umwälzung der maschinellen Großbetriebe vorausgesagt, im Wiener Ingenieur- und Architektenverein hat der Geheime Regierungsrat Professor Dr. Riedler, Mitglied des preußischen Herrenhauses, ehedem ein Österreicher etc., die Ära der Dampfturbine und der großen Gasmotoren eingeleitet […]."; 6) Vgl. Klimt persönlich: Bilder - Briefe - Einblicke, hg. v. Tobias G. Natter, Franz Smola u. Peter Weinhäupl, Ausstellungskatalog des Leopold-Museums, Wien 2012, S. 319.; 7) Alice Strobl, Gustav Klimt. Zeichnungen. Eine Privatsammlung v. Zeichnungen, in: Gustav Klimt 1862-1918. Zeichnungen aus Privatbesitz. Ausstellungskatalog C. G. Boerner, Düsseldorf 1987, S. 4. Des Weiteren berichtet Alice Strobl, dass Ludwig Gurlitt (1855-1931) schon „vorbehaltlos zu Klimt" stand, als er dessen Fakultätsbilder für die Aula der Wiener Universität in der Kunsthandlung Keller & Reiner in Berlin sah und zahlreiche Zeitgenossen dem Werk des jungen Wieners noch kritisch gegenüber standen. Er bezeichnete Klimt als „einen Titanen, einen Pfadfinder und Bahnbrecher, der seiner Zeit das Gepräge gab."; 8) Fritz Novotny u. Johannes Dobai, Gustav Klimt, hg. v. F. Welz, Salzburg 1967, S. 40.; 9) Tobias G. Natter, Bildnis Fritza Riedler, in: Klimt und die Frauen, hg. v. ders. u. Gerbert Frodl, Ausstellungskatalog des Belvedere Wien, 2000/01, S. 111.; 10) Fritz Novotny u. Johannes Dobai, Gustav Klimt (wie Anm. 8), S. 390.; 11) Rainer Metzger, Gustav Klimt. Das graphische Werk, Wien 2005, S. 208.
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