Der deutsche Künstler Georg Baselitz gehört zur Generation der Maler, die sich in den späten 1970er-Jahren wieder zur gegenständlichen Malerei zuwandten. Er ist besonders bekannt für sein Verfahren, das Bildmotiv auf den Kopf zu drehen, wodurch die Bilder eine abtrakte Komponente erhalten, da sich so die eigentliche Malerei vor den Bildinhalt drängt. Auch unser über vier Meter langes Gemälde Nachtessen in Dresden oszilliert zwischen Figuration und starken farblichen Akkorden von Rosa, Blau und Schwarz.
Die primäre Aufmerksamkeit beansprucht eine die Bildmitte beherrschende Gestalt mit weit aufgerissenen Augen und geöffnetem Mund. Sie wird von Figuren flankiert, die ihre Köpfe dem Bildrand zuneigen und gemeinsam an einem langen Tisch sitzen. Das Motiv lässt uns an die christliche Bildtradition des Abendmahls denken. Doch Nachtessen in Dresden spielt auch auf eine konkrete historische Situation an.Der in der Umgebung von Dresden aufgewachsene Baselitz schildert hier die Begegnung der Expressionisten, die sich 1905 zur Künstlergruppe „Die Brücke" zusammenschlossen. Die fahrig und gequält wirkende Figur am linken Bildrand hat man als Ernst Ludwig Kirchner identifiziert, die dominierende Mittelfigur als Karl Schmidt-Rotluff. Einen einzigen Körper teilen sich die engen Künstlerfreunde Otto Müller und Erich Heckel zur Rechten. Das Motiv gab Baselitz Anlass zur künstlerischen Selbstreflexion. Als ihm Ende der siebziger Jahre das (Neo-)Expressionismus-Etikett angeheftet wurde, distanzierte er sich in Wort und Bild. Durch die rein künstlerischen Entscheide – Farbe, Flächengliederung und Pinselduktus – sucht er die Kopf stehenden Gegenstände aus ihrer eindimensionalen Bedeutung zu befreien.