Der schwere Brustschmuck (Pektorale) ist das repräsentativste Schmuckstück eines großen Goldschatzes, der angeblich in der Nähe der oberägyptischen Stadt Assiût am westlichen Nilufer in den Ruinen eines Klosters gefunden wurde. 1909 und in den folgenden Jahren auf dem Kunstmarkt verkauft, kamen 12 von insgesamt fast 40 hochkarätigen und mit kostbaren Edelsteinen besetzten Schmuckstücken dank der großzügigen Schenkung des Frankfurter Mäzens Friedrich Ludwig von Gans nach Berlin; weitere befinden sich heute in New York, Washington und London.
Das Pektorale vereint einen breiten Schild an einem glatten Halsreif mittels Scharnier und Stift mit einem großen Medaillon. Dessen von einem Perlrand umgebene Fassung mit reichem Lotus-Palmetten-Dekor in Durchbruchsarbeit rahmt ein Relief mit der Verkündigung Mariae: Die Gottesmutter mit Nimbus sitzt in einem hohen Korbsessel mit Fußschemel, die Rechte staunend erhoben, der Linken entgleitet ein Strang Wolle aus dem Korb vor ihren Füßen. Sie blickt zu dem Engel, der von rechts heraneilt, die Rechte grüßend erhoben, in der Linken das Kreuzzepter. Die Szene entspricht der seit dem 5. Jahrhundert dargestellten Schilderung im apokryphen Protevangelium des Jakobus, nach der Maria beim Spinnen eines neuen Tempelvorhangs aus Purpur und Scharlach vom Erscheinen des Engels überrascht wurde.
Obwohl auf der Rückseite des Zierrahmens die scharfen Grate der Meißelarbeit durch das dicke Goldblech nicht geglättet wurden, diese also nicht gezeigt werden sollte, hat das Relief dort ein exakt eingepasstes Pendant mit der Darstellung des Weinwunders bei der Hochzeit von Kana: Jesus im Nimbus berührt mit dem Kreuzstab sechs am Boden gestaffelte Krüge, in die ein Diener aus einer Spitzamphora Wasser gießt; im Hintergrund ein Speisemeister mit Weinkelch und erstaunt gehobener Linker. Die griechische Umschrift erläutert: »Das erste Wunder.«
Der breite Schild über dem Medaillon, mit dem starren Halsreif seitlich durch Scharniere verbunden, trägt in der Mitte eine große Pseudomünze: Sie zeigt das Brustbild eines nicht benennbaren Kaisers mit Diadem, Panzer und Paludament, auf der Rückseite die thronende Stadtgöttin von Konstantinopel, jeweils umgeben von der Inschrift »Herr, hilf der Trägerin!« Dies lässt keinen Zweifel daran, dass der insgesamt 547 g schwere Brustschmuck von einer Frau getragen wurde. Zu beiden Seiten umfassen je sieben Rahmen die geprägten Münzen byzantinischer Kaiser von Justinian I. (527–565) bis Mauricius (582–602); zwei Rahmen halten kleine Blechstreifen mit den kreuzförmig angeordneten griechischen Buchstaben für »Licht« und »Leben«. Eine große Spiralranke verbindet diese 16 Rahmen, aufgelegte Blüten verdecken die stützenden Verstrebungen.
Das Pendant gleicher Größe, heute im Metropolitan Museum New York (Halsreif mit Schild) und in der Smithonian Institution Washington (Medaillon), unterscheidet sich in Details von dem Berliner Pektorale; die jeweils sieben Münzen seitlich der großen Mittelmünze reichen von Theodosius I. (379–395) bis Justinian I. (527–565). Das anhängende Medaillon zeigt das Brustbild des Kaisers Theodosius’ I. (379–395), auf der Rückseite den Kaiser als Restitutor Rei Publicae. Dieses Pektorale war wohl für einen Mann bestimmt.
Die beiden einzigartigen Schmuckstücke präsentieren in lückenloser Münzreihe die oströmischen Kaiser von Theodosius I. bis zu Mauricius. Um 600 oder bald danach entstanden, gehören sie zu den letzten Arbeiten im Schatz- fund von Assiût. Die christlichen Reliefs auf dem Berliner Medaillon weisen auf die kommende Herrschaft Gottes, dessen Stellvertreter auf Erden der Kaiser ist. Die thro- nende Konstantinopolis auf den Rückseiten der zentralen Pseudo-Münzen beider Pektorale in Berlin und Washing- ton bezeichnet zudem das Zentrum der Macht. Dort sind auch die Auftraggeber und Träger – wohl ein Ehepaar – zu vermuten.
Der ›Schatzfund von Assiût‹, der Pretiosen aus über etwa zwei Jahrhunderten versammelt, war vermutlich Be- standteil der kaiserlichen Schatzkammer in Konstantinopel und damit ›verfassungsmäßig konstituierend‹. Dann aber musste er vor einer feindlichen Übernahme in Sicherheit gebracht werden, denn als Beute hätte er die Plünderer mit den Insignien der Macht legitimiert. Insofern ist die Verbringung des Schmucks aus der gefährdeten Hauptstadt Ostroms in das vermeintlich vor den arabischen Invasoren sichere Ägypten denkbar.