Die Bronzestatue des Betenden Knaben hat eine bewegte Vergangenheit hinter sich. Das Werk wurde in Rhodos beim Bau der Stadtmauern gefunden und gelangte 1503 nach Venedig, wo es von den Kunstinteressierten begeistert aufgenommen wurde. Später bildete die Statue den Glanzpunkt verschiedener Sammlungen, gehörte Mario Bevilacqua in Verona, den Gonzaga in Mantua und war kurze Zeit im Besitz von Karl I. von England. Foucquet, der Finanzminister von Ludwig XIV., ließ die Arme ergänzen und stellte sie in seinem Schloss Vaux-le-Vicomte auf. Weitere prominente Besitzer waren Prinz Eugen und Wenzel von Liechtenstein, der den Knaben schließlich an Friedrich II. verkaufte. Die Aufstellung des Knaben auf der Terrasse von Schloss Sanssouci in der Blickrichtung der Bibliothek und nahe dem Ort, den sich Friedrich II. als Grabstätte gewählt hatte, wurde in der folgenden Zeit die bekannteste. Im Jahre 1806 gehörte die Statue zu der Kriegsbeute Napoleons und zählte bei der Ausstellung im Musée Napoléon in Paris zu den wichtigsten Werken. Damit endete gleichzeitig die Wanderung durch private Sammlungen. Zurück in Berlin stand der Knabe im Alten Museum und empfing wie heute die aus der Rotunde im Zentrum des Gebäudes eintretenden Besucher. Die neuzeitliche Wanderungsgeschichte hat am Kunstwerk deutliche Spuren hinterlassen. Jede Epoche hat Reparaturen und Ergänzungen vorgenommen, so wurde der vordere Teil des linken Fußes neu angesetzt und dazu die zweite und dritte Zehe aus Messing ergänzt. Eine große Veränderung des Aussehens erbrachte auch die grobe Reinigung der Oberfläche, bei der die Patina mechanisch abgesprengt wurde. Auf diese Weise sind viele kleine Poren zu sehen, die in der Antike unter der Oberfläche verborgen waren. Die Interpretation als Betender ist natürlich untrennbar mit den ergänzten Armen verbunden. Zuerst dachte man wegen der weichen Körperformen an den jugendlichen Gott Apoll. Auch die erotische Ausstrahlung hat man erkannt und in dem Knaben Ganymed sehen wollen, den Zeus wegen seiner Schönheit zu sich in den Olymp entführen ließ. Keine der Deutungen hat sich beweisen lassen, alle bleiben letztlich unbefriedigend, auch die des Betenden, die wohl die längste Zeit gültig war. Mit Wahrscheinlichkeit war die Figur nur Teil einer größeren Gruppe. Ausführliche Untersuchungen zur Herstellungstechnik haben in jüngster Zeit erwiesen, dass der Knabe im frühen Hellenismus in Rhodos gegossen wurde. Den Künstler wird man weiterhin im Umfeld des großen Meisters Lysipp suchen müssen. Enge stilistische Verwandtschaft mit einer Büste in Neapel lassen daran denken, dass der Knabe von einem Enkelschüler des Lysipp, Teisikrates, um 300 v. Chr. geschaffen wurde.
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