Lovis Corinth gehört zu den wichtigsten deutschen Künstlern, die sich dem Impressionismus verschrieben. Sein „Blick aus dem Münchner Atelier“ ist ein besonders radikales Beispiel für seine Kunst, in der er nicht selten das Abseitige und Nebensächliche zum Thema seiner Malerei erhob. Das Gemälde gibt den Blick aus dem dritten Stock eines Münchner Mietshauses frei. Es eröffnet sich ein Gartengelände mit wenigen Hinterhäusern, gefolgt von einem freien Feld und der Silhouette von Klein-Schwabing. Im Hintergrund ragen Kirchtürme und rauchende Schlote gleichermaßen in den tristen Wolkenhimmel.
Corinths Bild entspricht in keinem Detail mehr der vormals gültigen Auffassung eines idealistischen oder romantischen Landschaftsbildes. Alles Vorgefundene ist schlicht da und wird nüchtern notiert, so wie es sich dem Auge bietet. Dennoch wählte Corinth das Motiv nicht zufällig. Die linearen Strukturen aus Mauern und Gartenwegen nehmen eine abstrakte Gliederung der Natur vor, die ihn formal interessierte.
Typisch für den großen Koloristen ist die reiche Verwendung der Farben, die hier jedoch in gedämpfter Mischung von Grau, Grün und Rotviolett einen harmonischen Klang ergeben. Corinth fügte in der oberen Partie strikt einzelne Farbflächen deckend nebeneinander. Selbst etwas Leichtes wie die Wolken setzt sich aus kleinen satten Feldern zusammen. In der unteren Bildhälfte werden die akkuraten Pinselstriche zunehmend länger, fahriger und fleckiger, bis sie am unteren Bildrand zu einer einzigen Farbwolke verschmelzen. So übersetzt Corinth den menschlichen Seheindruck beim Blick in die Ferne: zu den Rändern des Sichtfeldes hin wird die Wahrnehmung unscharf. Lässt man den Blick schweifen, erfasst diese Unschärfe alle Objekte – die dennoch als Teilbilder verstanden werden.