By Tonhalle Zürich
Tonhalle Zürich
Vom Kornhaus zum Kulturhaus
Zürcher Stadtplan von 1860: Die Quaibrücke wird die beiden Stadtseiten erst 25 Jahre später verbinden. Auf der rechten Seeseite steht auf dem heutigen Sechseläutenplatz ein grosses Gebäude: das 1838/39 erbaute Kornhaus von Architekt: Alois Negrelli. Zuvor hatte der Handel mit Korn auf der gegenüberliegenden Seite, nahe dem Fraumünster, stattgefunden. Die engen Platzverhältnisse veranlassten den Stadtrat zur Umsiedlung auf den wenig bebauten Platz neben dem Bellevue.
Weiterbauen im Dialog. Kongresshaus und Tonhalle ZürichTonhalle Zürich
Die alte Tonhalle dient rund 30 Jahre lang für kulturelle Veranstaltungen aller Art.
1872 baut Johann Nepomuk Kuhn eine Orgel, die auf dem Bild im Hintergrund zu sehen ist. Sie wird 1895 in die Neue Tonhalle transferiert.
Trocadéro am Alpenquai
Die erste Tonhalle der Stadt Zürich hat ausgedient: Der Stadtrat beschliesst 1896, das Gebäude dem Meistbietenden zum Abbruch zu überlassen. Nach dem Bau der Quaianlagen scheint das umgenutzte Kornhaus nicht mehr prunkvoll und repräsentativ genug. Tatsächlich: Seit einem Jahr finden die Konzerte in der Neuen Tonhalle auf der anderen Stadtseite am Alpenquai, heute General Guisan-Quai, statt, die nun von der Quaibrücke erschlossen ist.
Original plan of "New" Tonhalle Zürich (1893/1893) by Stadtarchiv Zürich, Fellner & HelmerTonhalle Zürich
1892 bringen zwei internationale Wettbewerbe für ein neues Konzerthaus diverse Projekte und zweimal den gleichen Sieger hervor: Bruno Schmitz aus Berlin. Die neu gegründete Tonhalle-Gesellschaft vergibt den Auftrag aber dann doch nicht an ihn. Nach längerem Hin und Her und trotz einer Protestwelle aus lokalen Architektenkreisen erhält kein Zürcher Architekt den Auftrag, sondern das auf Musiktheater spezialisierte Architekturbüro Fellner & Helmer in Wien. Die beiden Wiener sind in Zürich keine Unbekannten: Sie sind gerade mit dem Bau des Stadttheaters am Bellevue, dem heutigen Opernhaus, beschäftigt.
Fellner & Helmer errichten unter der Bauleitung des Zürchers Fritz Wehrli einen repräsentativen Neubau im eklektischen Stil des Historismus. Vom Wettbewerbsprojekt von Bruno Schmitz übernehmen die Wiener Architekten die starke Ähnlichkeit mit dem «Palais du Trocadéro» in Paris, einem Ausstellungspalast für die Weltausstellung von 1878. Aufgrund der offensichtlichen Verwandtschaft zum Pariser «Trocadéro» setzt sich dieser Name auch in Zürich fest.
Das 1895 errichtete Tonhalle-Gebäude bietet Platz für Musikveranstaltungen aller Art. Der kleine und der grosse Konzertsaal im ersten Stock sind nach dem Vorbild des Neuen Gewandhauses in Leipzig gestaltet. Dem Saalbau vorgelagert bietet ein mit einer Kuppel gedeckter Musikpavillon Raum für leichtere Unterhaltungsmusik – hier für eine festliche Veranstaltung szenographisch umgestaltet und eingerichtet.
Aerial view of Tonhalle Zurich (1920/1920) by Baugeschichtliches Archiv, SwissairTonhalle Zürich
Luftbild der Swissair von 1920:
Die Neue Tonhalle setzt an der frisch angelegten Zürcher Seepromenade einen markanten städtebaulichen Akzent.
Erweiterung «Landi 39»
1937 weht in der Schweiz der Wind der geistigen Landesverteidigung: An der Landesausstellung von 1939, der sogenannten «Landi», soll die Schweiz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges zeigen, wie vielfältig und modern sie ist. Zahlreiche neue Gebäude und Umgestaltungen sind Teil des nationalen Grossanlasses. Der Direktor der Landi, Armin Meili, regt in der Planung auch den Bau eines neuen Kongresshauses an. Es soll an bester Lage verschiedenste Veranstaltungen ermöglichen. Die Standortwahl hat gravierende Folgen für die Tonhalle: 1937 wird der «Zürcher Trocadéro» zu grossen Teilen abgerissen.
Construction site after demolition of Tonhalle pavilion (1937/1937) by Baugeschichtliches Archiv, Landolt-ArbenzTonhalle Zürich
Vom Bau der Jahrhundertwende bleiben nur die beiden Konzertsäle mit ihrer einzigartigen Akustik erhalten.
Architects Haefeli Moser Steiger (1938/1938) by Hans Staub / Fotostiftung SchweizTonhalle Zürich
Entworfen wird das neue Ensemble von einem jungen Architekten-Trio aus Zürich: Max Ernst Haefeli, Werner Moser und Rudolf Steiger, die zuvor einzeln oder in wechselnden Konstellationen tätigen waren. Sie gewinnen den Architekturwettbewerb gegen mehr als 100 Konkurrenz-Büros und gründen nach dem Zuschlag eine feste Architektengemeinschaft. In den Nachkriegs-Jahrzehnten entwerfen sie weitere, die Schweizer Architektur prägende Grossbauten.
Construction of Kongresshaus Zurich (1938/1938) by Baugeschichtliches Archiv, SwissairTonhalle Zürich
Walter Gropius erkennt die Qualität des Entwurfs sofort und gratuliert dem Zürcher Stadtpräsidenten zum Wettbewerbsentscheid.
Das Kongresshaus wir in nur 18 Monaten Bauzeit realisiert. Die Luftaufnahme zeigt den Baufortschritt um 1938.
Construction of Kongresshaus Zurich (1938/1938) by Baugeschichtliches Archiv, Michael WolgensingerTonhalle Zürich
Arbeiten auf dem Dach des neuen Kongresssaals – Seesicht inklusive.
Kongresshaus und Tonhalle Zürich
Heute gilt der Kongresshaus-Tonhalle-Bau als architektonischer Zeitzeuge erster Güte: Er verkörpert einen innovativen Wandel der Moderne, verbunden mit einem verstärkten lokalen Bezug im architektonischen Schaffen. Der Bau ist ein wichtiger Vertreter des sogenannten «Landi-Stils», einer moderaten Schweizer Prägung der Moderne jener Zeit. Gleichzeitig ist er das einzige grössere Bauwerk, das noch von der historisch überaus bedeutenden Landesausstellung 1939 zeugt.
Exterior view of Kongresshaus and Tonhalle Zurich (1940/1940) by Baugeschichtliches Archiv der Stadt ZürichTonhalle Zürich
Das neue Ganze – zusammengesetzt aus dem Saalbau von 1895 und den Kongresshausräumen von 1939.
Der Gebäudekomplex von 1937/39. Ansicht der Fassade an der Beethovenstrasse mit Blick in Richtung See.
Das grosse Volumen ist differenziert ausgestaltet und integriert sich so massstäblich in das Stadtgefüge.
Weiterbauen als Entwurfsstrategie
Im 1936 ausgeschriebenen Wettbewerb für das Kongresshaus ist es den Architekten und Architektinnen freigestellt, ob sie die Tonhalle erhalten wollen, oder nicht. Die Architekten Haefeli Moser Steiger entscheiden sich gegen die «tabula rasa»-Variante und für den Erhalt der Tonhallensäle. Sie integrieren diesen Gebäudeteil von 1895 sichtbar in ihr Projekt und suchen in ihrem Entwurf eine behutsame Verschränkung der beiden Teile. Diese Vorgehensweise ist zu jener Zeit äusserst innovativ und stellt einen neuen Umgang der Moderne mit dem Bestand dar.
Das neue Konzertfoyer und das daran anschliessende Kongressfoyer verbinden den erhaltenen Saaltrakt mit dem seeseitig angebauten Kongresshaus. So entsteht ein betrieblich wie architektonisch eng verwobenes Zusammenleben aus Alt und Neu. Das Prinzip des Weiterbauens ist gefunden.
Vestibule of Kongresshaus (1939/1939) by Baugeschichtliches Archiv der Stadt ZürichTonhalle Zürich
Die überraschend reiche Ornamentik und Ausstattungsdetails in organisch-geschwungener Formensprache prägen einen Architekturstil, der sich bis in die 1950er-Jahre fortsetzt.
Winter garden, view from foyer of congress (1939/1939) by Baugeschichtliches Archiv Zürich, Michael WolgensingerTonhalle Zürich
Im ersten Obergeschoss trennen eine Schiebetür und ein darüber liegender Wintergarten das Kongress- vom Konzertfoyer. Der Wintergarten ist Lichtquelle und «lebendes Ornament» zugleich.
Der Kongresssaal wenige Jahre nach seiner Vollendung.
Die Leuchten mit der goldenen, spiralförmigen Abhängung sind ein Entwurf eines der drei Architekten. Sie sind unter dem Namen «Haefeli-Locken» als Design-Objekte bekannt geworden.
Terrace of Kongresshaus and Tonhalle Zurich (1939/1939) by Baugeschichtliches Archiv, Michael WolgensingerTonhalle Zürich
Restaurantbetrieb auf der Terrasse im Jahr der Landesausstellung «Landi 39».
Umbau und Sanierung in den 1980er-Jahren
Der erfolgreiche Betrieb des Kongresshauses fordert schon bald bauliche Anpassungen. Die Architekten Haefeli Moser Steiger selbst realisieren bereits in den 1950er-Jahren einige Umbauten. Mitte der 1970er-Jahre wird in diversen Studien die Möglichkeit der Erstellung eines weiteren Saals geprüft. Im Bild das Modell eines der vielen Sanierungsprojekte.
Schliesslich wird 1988 ein neuer multifunktionaler Raum gebaut. Der sogenannte Panoramasaal bietet betrieblich viele Möglichkeiten und dazu den Blick auf den See.
Der Panoramasaal (links im Bild) nimmt die bisherige Offenheit und Durchlässigkeit der bestehenden Räume. Das Konzertfoyer verliert den direkten Bezug zum Aussenraum, der Gartenhof (Bildmitte) verliert seine Gestalt und ursprüngliche Funktion als Lichtquelle.
Die Eingangsseite nach den Umbaumassnahmen der 1980er-Jahre: Der Panoramasaal besetzt die ehemalige Terrasse und verläuft parallel zum Konzertfoyer. Die Treppe von der Terrasse in Richtung See ist abgebrochen.
In diesem Zustand verbleibt das Kongresshaus schliesslich bis 2017.
Diese Ausstellung wurde anlässlich der Eröffnungstage Kongresshaus und Tonhalle Zürich vom 4./5. September 2021 und den Europäischen Tagen des Denkmals erstellt.
Eine Kooperation der Denkmalpflege Kanton Zürich mit dem Amt für Hochbauten, Stadt Zürich.
Kuratiert von
Nina Berner, Hochbaudepartement Stadt Zürich
Stefan Businger, Amt für Hochbauten Stadt Zürich
Anatole Fleck, Hochbaudepartement Stadt Zürich
Julia Gerster, Denkmalpflege Kanton Zürich
Roger Strub, Denkmalpflege Kanton Zürich
Redaktor bei Archäologie und Denkmalpflege Kanton Zürich
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