Lounge Chair, Model no. B35 and Stool, Model no. B37 Lounge Chair, Model no. B35 and Stool, Model no. B37 (Designed 1928–29, made c. 1930–35) von Marcel BreuerThe Museum of Fine Arts, Houston
Manche Beziehung endet ja damit, dass sich die Beteiligten vor Gericht um den teuren Freischwinger streiten. So auch die zwischen dem Bauhaus und der holländischen Avantgarde.
Archer (1919) von Theo van DoesburgMuseum of Fine Arts, Budapest
Dabei fing alles so vielversprechend an: Das Bauhaus war noch sehr jung, als sich der Holländer dafür interessierte, genauer: die Künstler der De Stijl-Bewegung. Die hatten damals schon eine klare Vorstellung vom Leben – während sich die Schule in Weimar noch in romantischen Träumereien verfing.
Doch so leicht ließ sich das Bauhaus nicht erobern: Rein durfte er nicht, als De-Stijl-Gründungsmitglied Theo von Doesburg 1921 in Weimar Bauhaus-Schüler unterrichten wollte, also empfing er sie bei sich zu Hause.
Die erhabene Seite (Bauhaus-Postkarte Nr. 4 zur Bauhaus-Ausstellung 1923) (1923) von Paul KleeStiftung Bauhaus Dessau
Auf den Treffen nach Schulschluss kam man sich näher. Bald hatten Bauhaus und de Stijl dieselben Lieblingsfarben (gelb, blau, rot, schwarz, weiß) ...
... und eine gemeinsame Vorliebe für abstrakte und geometrische Formen.
Beide träumten von kantigen Häusern in Weiß (hier im Bild: die Villa Allegonda von De-Stijl-Mitglied J.P.P. Oud in Katwijk aan Zee, Südholland, aus dem Jahr 1917) ...
Lattenstühle Ti 1 a und Tisch Ti 9 (1923) von Marcel BreuerStiftung Bauhaus Dessau
... und waren sich sogar bei den Möbeln einig. Bauhausschüler Marcel Breuer, zum Beispiel, ließ sich von dem Lattenstuhl eines Gerrit Rietveld aus dem Jahr 1918 zu seinem Stuhl Ti 1a (1923) inspirieren.
Kantinenhocker (1926) von Marcel BreuerStiftung Bauhaus Dessau
Danach erfand Breuer bekanntlich beim Fahrradfahren (kein Hollandrad!) die Stahlrohrmöbel. Plötzlich machten alle in Stahlrohr. Auch die Holländer, wo sich vor allem ein Mart Stam hervortat.
Der gehörte zu jenen Avantgarde-Architekten, die 1927 unter Ludwig Mies van der Rohe (auch er offenbar Holland-Fan, hätte er sich sonst das „van“ selbst in den Namen geschrieben?) die Weißenhof-Siedlung in Stuttgart bauten. Dabei wurde wie immer viel gefeiert und auf einer dieser Partys skizzierte jener Mart die Idee eines neuen Stuhlmodells auf seine Einladungskarte: aus Stahlrohr, aber ohne Hinterbeine, ein so genannter Kragstuhl.
Armlehnsessel (Weißenhof-Sessel) (1927) von Ludwig Mies van der Rohe (Entwurf) und Berliner Metallgewerbe Josef Müller (Herstellung)Stiftung Bauhaus Dessau
Bald werkelte nicht nur Mart Stam an einem Freischwinger, sondern auch Mies van der Rohe (damals noch nicht am Bauhaus) sowie Marcel Breuer (am Bauhaus in Dessau inzwischen Jungmeister). Noch im selben Jahr präsentierten alle drei ihre Stuhlmodelle.
Haus Sonneveld, Esszimmer (2019)Originalquelle: Het Nieuwe Instituut
Doch bald darauf gab es Streit. Wer hat’s erfunden?, lautete die Frage, auf die es plötzlich viele Antworten gab. Der Fall landete vor Gericht, sogar Walter Gropius musste aussagen. 1932 stand fest: Mart Stam gilt als Erfinder des Freischwingers. Das Bauhaus und Breuer aber, sie haben dem Stuhl erst den richtigen Schwung gegeben.
Haus Sonneveld, Bibliothek (2019)Originalquelle: Het Nieuwe Instituut
Und läuft es nicht oft so in starken Beziehungen? Der eine hat eine Idee und zusammen wird was draus.
Text / Konzept / Umsetzung: Cornelia Jeske
Redaktion: Astrid Alexander, Cornelia Jeske
© Stiftung Bauhaus Dessau
www.bauhaus-dessau.de
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