Kartoffelfäule schreibt Geschichte

Im Rahmen der simultanen Ausstellung "8 Museen, 8 Objekte" der Leibniz-Forschungsmuseen stellt das Senckenberg Naturmuseum in Frankfurt am Main vor, wie es den Verursacher einer historischen Hungersnot überführte.

Abgestorbene Kartoffelpflanze von Julius Kühn-Institut, Foto: Thilo HammannLeibniz-Gemeinschaft

Verheerend – und bis heute gefürchtet

Die Kartoffelfäule – auch Kraut- und Knollenfäule genannt – ist eine gefürchtete Pflanzenkrankheit. Jedes Jahr vernichtet sie weltweit etwa 20 % der Ernte. Mitte des 19. Jahrhunderts kam es in Irland zur „Großen Hungersnot“, verursacht durch die Kartoffelfäule, die große Teile der Ernte vernichtete. Erst kürzlich gelang es, den historischen Erreger der Krankheit genauer zu bestimmen.

Angeschnittene, befallene Kartoffelknolle (Modell) von Senckenberg Gesellschaft für NaturforschungLeibniz-Gemeinschaft

Verursacht wird die Kartoffelfäule durch den Eipilz Phytophthora infestans. Eipilze (auch Scheinpilze genannt) sind näher mit Braun- und Kieselalgen als mit echten Pilzen verwandt. Doch ähnlich wie die echten Pilze bestehen sie aus einem Geflecht von Zellfäden. Werden die Knollen im Boden infiziert, beginnt der Eipilz im Inneren der Knolle zu wachsen. Die befallenen Knollen sind innen bräunlich verfärbt und ungenießbar – unappetitlich sowie durch Giftstoffe gesundheitsschädigend.

Krautfäule am Blatt einer Kartoffelpflanze von Julius Kühn-Institut, Foto: Thilo HammannLeibniz-Gemeinschaft

Sobald die Kartoffel keimt, wächst P. infestans in die austreibende Pflanze hinein. Es werden braune und dunkle Stellen an den Blatträndern sichtbar, die sich auf der gesamten Blattoberseite ausbreiten.

Kartoffelmehltau von Julius Kühn-Institut, Foto: Thilo HammannLeibniz-Gemeinschaft

Die Blattunterseite der befallenen Pflanze ist mit einem weißen Belag aus Pilzfäden bedeckt, dem Kartoffelmehltau. Hier bilden sich die Sporenbehälter, aus denen bei Nässe Sporen freigesetzt werden. Besonders bei feuchtem Wetter kommt es zu einer raschen Ausbreitung des Eipilzes. Denn während die Nässe die Kartoffel schädigt, begünstigt sie P. infestans, der zur effektiven Vermehrung Feuchtigkeit und nicht zu hohe Temperaturen benötigt. Bei trockenem Wetter besteht keine Infektionsgefahr.

Mis Fami Ireland 1846-1847 (1846/1847)LIFE Photo Collection

P. infestans schrieb Geschichte, als der Erreger der Kartoffelfäule zwischen 1845 und 1852 große Teile der europäischen Kartoffelernte vernichtete. Am härtesten traf es Irland. Die Kartoffel stellte das Hauptnahrungsmittel dar und wurde meist in Monokulturen angebaut. So hatte die Kartoffelfäule, die 1846 und 1847 die Ernte fast vollständig vernichtete, schreckliche Folgen: Man schätzt die Zahl der Verhungerten auf rund 1 Million.

LIFE Photo Collection

Eine weitere Million Iren verließ das Land und wanderte nach Kanada, Australien und in die USA aus. Dies hatte zur Folge, dass die Bevölkerungszahl Irlands von 1841 bis 1871 um ca. 3 Millionen Einwohner schrumpfte.

Ursprungsländer des untersuchten Pflanzenmaterials von Senckenberg Gesellschaft für NaturforschungLeibniz-Gemeinschaft

Datenbanken der Natur

Um die historische Ausbreitung der Kartoffelfäule zu untersuchen, wurden aktuell grassierende Stämme des Erregers sowie zwei nah verwandte Arten mit Material aus elf historischen Herbarbögen von befallenem Pflanzenmaterial aus den letzten 150 Jahren verglichen. Die Herbarbelege stammen aus Irland, Großbritannien, Kontinentaleuropa und Nordamerika und werden in den Herbarien der Botanischen Staatssammlung München und der Royal Botanical Gardens Kew in London aufbewahrt.

Das Herbarium Senckenbergianum von Senckenberg Gesellschaft für NaturforschungLeibniz-Gemeinschaft

Ein Herbar(ium) ist eine Sammlung getrockneter und gepresster Pflanzen. Das Herbarium Senckenbergianum in Frankfurt a. M. umfasst etwa 1,2 Millionen solcher Herbarbelege – die ältesten stammen aus dem 17. Jahrhundert.

Herbarbogen eines Malvengewächses von Senckenberg Gesellschaft für NaturforschungLeibniz-Gemeinschaft

Die gesammelten Pflanzen werden auf sogenannten Herbarbögen aufbewahrt. Möglichst vollständig wird jede Pflanze mit Blättern, Spross, Wurzeln, Blüten und Früchten auf den Herbarbogen geklebt.

Zusätzlich wird ein Herbariumsblatt aufgeklebt, das – wie hier am Beispiel eines Malvengewächses Fundort, Funddatum und Finder sowie den wissenschaftlichen Namen der Pflanze und eine Sammlungsnummer nennt.

Historischer Herbarbeleg von Senckenberg Gesellschaft für NaturforschungLeibniz-Gemeinschaft

Einer der elf verwendeten historischen Herbarbögen stammt aus der Sammlung der Kew Gardens von 1846 und enthält ein mit P. infestans befallenes Blatt einer Kartoffelpflanze.

Im DNA-Labor von Senckenberg Gesellschaft für NaturforschungLeibniz-Gemeinschaft

Die historischen und aktuellen Proben wurden mittels moderner Erbgutentschlüsselung und DNA-Analyse verglichen. Durch den Vergleich bestimmter Bereiche der DNA können Verwandtschaftsbeziehungen verschiedener Organismen identifiziert werden. Mathematische Algorithmen erlauben es dabei, abzuschätzen, wann sich einzelne Phytophthora-Stämme genetisch voneinander trennten – auch über die 150 Jahre lange Zeitspanne hinaus, aus der die Proben stammen.

Von Kartoffelfäule befallene Knollen (Modell) von Senckenberg Gesellschaft für NaturforschungLeibniz-Gemeinschaft

Wer war der „Täter“?

Die genetische Vielfalt des Kartoffelfäule-Erregers erhöhte sich zu Beginn des 16. Jahrhunderts in der Zeit des ersten Kontaktes zwischen Amerikanern und Europäern in Mexiko. Vermutlich wurde er damals von seinem Ursprungsort in Mexiko schlagartig weiter verbreitet. In den neuen Lebensräumen konnten sich neue Stämme entwickeln. Der erfolgreichste Stamm wurde nach der Einführung neuer Kartoffelsorten im 20. Jahrhundert der sogenannte US-1-Stamm. Lange dachte man, dass dieser noch heute verbreitete Stamm auch Verursacher der Großen Hungersnot um 1845 war. Die genetische Untersuchung der elf historischen Herbarbögen widerlegt dies nun.

Mögliche Ausbreitungswege des Kartoffelfäule-Erregers von Senckenberg Gesellschaft für NaturforschungLeibniz-Gemeinschaft

Der US-1-Stamm von P. infestans (blaue Linien in der Abbildung) kommt als „Täter“ kaum in Frage, denn er konnte in den historischen Belegen des 19. Jahrhunderts nicht nachgewiesen werden und hat sich vermutlich erst um 1900 in Europa etabliert.

Verursacher der irischen Hungersnot war ein bisher unbekannter P. infestans-Stamm, genannt HERB-1 (rote Linie in der Abbildung), der sich bereits um 1845 nach Europa ausbreitete, nachdem er sich kurz zuvor von US-1 genetisch getrennt hatte.

HERB-1 wütete weltweit über fünfzig Jahre und starb vermutlich weitgehend aus, als zu Beginn des 20. Jahrhunderts die ersten resistenten Kartoffelpflanzen gezüchtet wurden. Nach 160 Jahren ist damit klar, welcher Erreger für Millionen Tote verantwortlich ist – und dass er selbst in Europa und den USA ausgestorben ist.

Übersicht der Standorte der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung von Senckenberg Gesellschaft für NaturforschungLeibniz-Gemeinschaft

Die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung

Die selbstgesteckte Aufgabe der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung ist es „Naturforschung zu betreiben und die Ergebnisse der Forschung durch Veröffentlichung, durch Lehre und durch ihre Naturmuseen der Allgemeinheit zugänglich zu machen“. Das geschieht heute in sechs Forschungsinstituten und drei Museen.

Das Senckenberg Naturmuseum von Senckenberg Gesellschaft für NaturforschungLeibniz-Gemeinschaft

Die Ausstellungsthemen des Senckenberg Naturmuseums in Frankfurt am Main (links), das zur Senckenberg Gesellschaft gehört, reichen von der Tier- und Pflanzenwelt längst vergangener Zeiten über die Geologie und Entwicklung der Erde bis zur Vielfalt der heutigen Lebewesen. Dabei wird der Wandel der Lebensräume über Millionen Jahre hinweg deutlich. Mit mehr als 38 Millionen Objekten beherbergt die Senckenberg Gesellschaft eine der größten naturwissenschaftlichen Sammlungen der Welt. Die meisten Objekte sind nicht ausgestellt; sie dienen allein der Forschung.

Saurierskelette von Senckenberg Gesellschaft für NaturforschungLeibniz-Gemeinschaft

Höhepunkte der Ausstellung sind die Saurierskelette: links Iguanodon, rechts das Originalskelett eines Diplodocus longus, das einzige dieser Art, das außerhalb der USA ausgestellt ist.

Anakonda mit Wasserschwein von Senckenberg Gesellschaft für NaturforschungLeibniz-Gemeinschaft

In den vielfältigen Ausstellungsbereichen des Senckenberg Naturmuseums sind unzählige Exponate zu sehen. Nicht wenige davon sind sehr selten oder sogar einzigartig. Dazu zählt das Präparat einer Anakonda, die zu den größten Schlangen der Welt zählt. Hier ist zu sehen, welche riesige Beute (Wasserschwein) sie unzerkleinert verschlingen kann.

Begehbares Gehirn von Modell: Hertie-Stiftung 2016, Dr. Alexander Grychtolik/Foto: U. DettmarLeibniz-Gemeinschaft

Die Ausstellungsfläche wird in den kommenden Jahren von 6.000 auf 10.000 Quadratmeter vergrößert. Ein neues, weltweit einmaliges inhaltliches Konzept sieht vier große Ausstellungsbereiche vor: Mensch, Erde, Kosmos und Zukunft.

Mitwirkende: Geschichte

„8 Objekte, 8 Museen“ ist ein Gemeinschaftsprojekt der Leibniz-Forschungsmuseen und des Leibniz-Instituts für Wissensmedien in Tübingen zum Leibniz-Jahr 2016.

Forschungsprojekt der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung zu »Von Kartoffelfäule befallenen Knollen«

Alle Dokumente und Fotos:
Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, Fotografien: Marco Thines, Sven Tränkner

Julius Kühn-Institut, Foto: Thilo Hammann
LIFE Photo Collection
K. Yoshida et al. (2013). The rise and fall of the Phytophthora infestans lineage that triggered the Irish potato famine.
Hertie-Stiftung 2016, Dr. Alexander Grychtolik, Foto: U. Dettmar

Text und Objektauswahl: Torsten Collet, Bernd Herkner, Sören Dürr (Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung)
Mitarbeit: Alexandra Donecker, Hildegard Enting, Christina Höfling, Sven Tränkner (Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung), Stephan Speicher
Übersetzung: Hendrik Herlyn

Literatur: K. Yoshida et al. (2013). The rise and fall of the Phytophthora infestans lineage that triggered the Irish potato famine.

Quelle: Alle Medien
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