Von "Stiftung Bauhaus Dessau"
Stiftung Bauhaus Dessau
Eine Klasse für Frauen
Das Bauhaus wollte nicht nur das Bauen revolutionieren, es wollte in sämtlichen Bereichen seiner Zeit voraus sein. Das betraf auch den Umgang mit Frauen. Schon im Gründungsmanifest heißt es hoffnungsvoll: „Aufgenommen wird jede unbescholtene Person, ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht“ und in seinen Notizen hält Walter Gropius fest: „absolute Gleichberechtigung, aber auch absolute gleiche Pflichten.“
Lounge Chair, Model no. B35 and Stool, Model no. B37 Lounge Chair, Model no. B35 and Stool, Model no. B37 (Designed 1928–29, made c. 1930–35) von Marcel BreuerThe Museum of Fine Arts, Houston
Doch anders als die Ideen vom neuen Bauen und modernen Design, die in den Werkstätten und auf den Baustellen bald konkret Gestalt annahmen, blieb Gropius Ansatz von der Gleichberechtigung reine Theorie.
Im Kostenvoranschlag für das Bauhaus hatte Gropius mit „50 Damen, 100 Herren“ gerechnet. Womit er nicht gerechnet hatte: Die Frauen strömen so zahlreich ans Bauhaus, dass hier bald genauso viele Damen wie Herren studierten.
Gespenst eines Genies (1922) von Paul KleeNational Galleries Scotland: Modern
Frauen wurde damals oft nicht viel zugetraut, erst recht nicht von den Meistern am Bauhaus. So ging auch Johannes Itten von der zu jener Zeit üblichen Annahme aus, dass Frauen nur zweidimensional denken könnten. Paul Klee war sich sicher: Genie ist männlich. Und Gropius fürchtete, die vielen Frauen würden das Bauhaus in eine „kunstgewerbliche“ Richtung drängen – er sah das Ideal seiner Schule in Gefahr.
Alt-Weimar (1919) von Eberhard SchrammenStiftung Bauhaus Dessau
Als ihn in jenen Tagen die Studentin Gunta Stölzl bat, eine Frauenklasse einzurichten, rannte sie damit offene Türen ein. Die Idee war auf dem Weimarer Weihnachtsmarkt entstanden, wo die Bauhäuslerinnen selbst gebastelte Puppen, Holzspiele und Dekorationen verkauften.
o. T. (Frau am Tisch) (o. J. (ca. 1942)) von Reinhold RossigStiftung Bauhaus Dessau
Frauenklassen gab es damals an vielen Akademien und Kunstgewerbeschulen, die damit auf den Zustrom weiblicher Studierender reagierten – die Frauenklasse am Bauhaus wurde allerdings von den Frauen selbst initiiert.
Ruth Hollos am Webstuhl im selbst gewebtem Kleid (1931/1932) von Erich Consemüller (Foto)Stiftung Bauhaus Dessau
Hier wurde zunächst sämtliche Handarbeit geübt: von Nähen über Knüpfen, Sticken, Häkeln bis Makramee. Als die Studierenden in der Schule einen Raum mit Webstühlen entdeckten, wo Mädchen aus der Stadt sticken lernten ...
... wurden kurz darauf nicht nur die Geräte, sondern auch die Lehrerin Helena Börner als Werkstattleiterin ins Bauhaus integriert – aus der Frauenklasse wurde die Werkstatt für Weberei.
Walter Gropius vor seinem Wohnhaus in Dessau (1926/1927) von UnbekanntStiftung Bauhaus Dessau
Für Gropius war es mehr als eine Werkstatt: Es war die Lösung seines „Frauenproblems“. Im September 1920 machte Gropius dann im Meisterrat den Vorschlag der „scharfen Aussonderung gleich bei der Aufnahme, vor allem bei dem der Zahl nach zu stark vertretenen weiblichen Geschlecht“.
Die Frauen, die es danach noch ans Bauhaus schafften, sollten gleich nach dem Vorkurs in die Weberei geschickt werden – alle anderen Werkstätten von Holz bis Metall standen nur den männlichen Kommilitonen offen. Zur Architektur sollten Frauen überhaupt nicht zugelassen werden.
o. T. (Georg Muche mit Badehose und Strohhut am Strand der Elbe) (1925-05-21) von Irene Angela Bayer (geb. Hecht)Stiftung Bauhaus Dessau
In der Folge landeten also viele Frauen in der Weberei, die da gar nicht hinwollten. Doch nicht nur das sorgte für Frust. Die einverleibte Lehrerin Börner verstand nicht viel vom Weben. Der Maler Georg Muche, ab 1921 Formmeister, weigerte sich sogar, einen Faden in die Hand zu nehmen: Er wollte mit der weiblichen Aura des Webens nicht in Verbindung gebracht werden.
Ruth Hollos am Webstuhl im Bauhaus Weimar (1925) von UnbekanntStiftung Bauhaus Dessau
„Alles Technische, die Funktionen des Webstuhls, die Möglichkeiten der Fadenverkreuzung, die Art der Fadeneinzüge, konnten wir uns nur durch Ausprobieren aneignen; da war viel Rätselraten bei uns armen Autodidakten, und manche Träne floss,“ so Gunta Stölzl.
Die Studentinnen Stölzl und Benita Otte belegten schließlich Kurse an der Fachschule in Krefeld und gaben ihr Wissen danach an ihre Kommilitoninnen weiter.
Teppich als Kunst
Muche ermunterte seine Studierenden zum Experimentieren, er ließ spielerisch arbeiten – „Zeit spielte ja keine Rolle; der Versuch, das ‚Neue’ zu leben und zu formen, war das einzig Dringliche“ (Stölzl). Formale Anregungen gaben eher andere: Itten, Klee und Kandinsky, in deren Unterricht Farben und Formen in einer ganz besonderen Ästhetik zusammengefügt wurden.
Teppichentwurf (1924) von Corona (Korona) KrauseStiftung Bauhaus Dessau
Dem erzählenden Bildteppich aus der Jugendstilzeit setzten die Bauhäuslerinnen flächig-konstruktive Gestaltungen im Sinne einer neuen abstrakten Kunst entgegen.
Bis 1923 wurden vorwiegend Einzelstücke hergestellt und diese mit großem Erfolg auf der Bauhauswoche präsentiert – „alle vorhergehenden Stürme und Kämpfe wurden im Rausch der Freude völlig vergessen“ (Stölzl). Im Jahr darauf verzeichnete die Weberei die Rechte an etwa 900 Webmustern.
o. T. (Stoffmuster) von Gertrud Arndt (geb. Hantschk)Stiftung Bauhaus Dessau
Um das Bauhaus bekannter zu machen, wurden die Werkstücke zunächst ohne Namensnennung auf Ausstellungen und Messen präsentiert. Einige Weberinnen wehrten sich dagegen und wollten genannt werden. Sie hatten ernste berufliche Absichten und ihre Karriere im Blick. Diese „Aufmüpfigkeit“ der Weberinnen sollte nicht die letzte gewesen sein.
Aufstand der Weberinnen
Als das Bauhaus 1925 nach Dessau zog, blieben die Webstühle mit Lehrerin Börner in Weimar. Im neuen Schulgebäude bekam die Weberei ein großes lichtdurchflutetes Atelier im ersten Stock sowie neue Webstühle und eine eigene Färberei. Muche fehlten allerdings die Kenntnisse, mit den gekauften Geräten umzugehen, woraufhin die Studentinnen seinen gesamten Unterricht in Frage stellten und Gunta Stölzl als Leiterin forderten. Dieses revolutionäre Verhalten der Weberinnen sorgte im ganzen Haus für Unruhe, galt gar als „neuer Sturmlauf“ gegen die Meister.
Die Meister des Bauhauses (nach 1926) von UnbekanntStiftung Bauhaus Dessau
Er zeigte Erfolg: Stölzl bekam einen Vertrag als „Lehrerin der Weberei“ in Dessau. Muche blieb bis 1927 Formmeister, danach leitete Stölzl (hier im Bild die zweite von rechts) als „Jungmeister“ die Textilwerkstatt. Es war in vielerlei Hinsicht ein Novum: Erstmals war gegen den Vorbehalt des Direktors und der Meister eine Führungsposition vergeben worden.
Vor allem aber besetzte erstmals eine Frau eine leitende Position am Bauhaus. Doch gleichberechtigt war sie nicht: Stölzl bekam weniger Lohn als die männlichen Meister und hatte keinen Anspruch auf eine Pension.
arbeitsplan der weberei (1925) von Bauhaus DessauStiftung Bauhaus Dessau
Stölzl unterteilte die Werkstatt in Lehr- und Produktionswerkstatt und straffte das Ausbildungsprogramm.
Sie brauchen das Bauhaus (1928) von Margaretha (Grete) ReichardtStiftung Bauhaus Dessau
Zeitdruck und Akkordarbeit
Wie alle Werkstätten des Bauhauses musste auch die Weberei für Umsatz sorgen und Aufträge von der Industrie abarbeiten. Der Druck auf die Weberinnen wuchs. Für das kreative Experimentieren, etwa mit dem neu angeschafften Jaquardwebstuhl, blieb kaum noch Zeit. In ihrer Collage „sie brauchen das bauhaus“ kritisiert Margaretha Reichardt diesen Zeitdruck.
Neben einer Auswahl von Stoffmustern ihr Kommentar: „erziehung am fließband“ und „Tempo, Tempo“. Ein „tüchtiger Webmeister“ zeigt auf die stets tickende Uhr.
Im unteren Teil der Collage benutzt Reichardt eine Werbung des Bauhauses aus dem Jahr 1928: „sie brauchen moderne qualitätsarbeit. das bauhaus übernimmt".
Über eine Liste der Weberei-Aufträge von Mai bis September 1928 fragt Reichardt: „Prüfen Sie, bleibt dann noch Zeit für Versuchsarbeit?“
Eine neue Revolution kündigte sich an.
Gewebe, das dient
Unter Hannes Meyer als neuen Bauhausdirektor wurde das Studium für Frauen leichter: Ab 1928 durften sie sich die Werkstatt selbst aussuchen und wurden auch für Architektur zugelassen. Von der Weberei erwartete Meyer verstärkt technisch-innovative Gebrauchsstoffe. An denen hatten die Weberinnen schon vorher gearbeitet, schließlich verlangten die moderne Architektur und die funktionalen Möbel nach neuen Textilien – große Glasflächen nach unempfindlichen Licht- und Sichtschutz, Stahlrohrmöbel nach robusten Stoffen.
Metallgarn (Materialprobe aus dem Unterricht bei Benita Koch-Otte an der Burg Giebichenstein Halle) (o. J. (1920/1929)) von Corona (Korona) KrauseStiftung Bauhaus Dessau
Unter Meyer aber rückte die technische Weiterentwicklung von Textilien in den Mittelpunkt und Gunta Stölzl widmete sich mit Leidenschaft dem Gewebe als „dienenden Gegenstand, der sich anpasst und eingliedert“.
Neue Materialien wie Eisengarn, Viskaband, Zellophan oder Zellulosedraht wurden ausprobiert. Es galt, strapazierfähige, preisgünstige Stoffe zu entwickeln, die auch gestalterisch hohen Ansprüchen genügen.
Miniaturweberei (ca. 1929) von Margaretha (Grete) ReichardtStiftung Bauhaus Dessau
Für individuelle Einzelwerke hatte Meyer hingegen nicht viel übrig, in seinen Augen waren sie elitär und kunstgewerblich. Nach seiner Entlassung im Jahr 1930 verspottete er die Teppiche gar als „seelische Komplexe junger Mädchen“.
Musterstück für Streifenstoff (1925) von Gertrud Arndt (geb. Hantschk)Stiftung Bauhaus Dessau
Bodenbeläge statt Teppiche, so das neue Credo.Die Werkstatt wurde produktiver und rentabler. Die Produktion verdoppelte sich nahezu, ebenso die Zahl der Mitarbeiter, die auf 20 stieg.
o. T. (Musterstück für die Polytex-Kollektion) (ca. 1930) von Bauhaus Dessau, WebereiStiftung Bauhaus Dessau
1930 ergab sich eine Zusammenarbeit mit der Berliner Textilfirma Polytex, für die das Bauhaus fortan Stoffe und Muster entwarf.
Bettdecke (1926 (design); 2000 (made)) von Stölzl, Gunta (Entwurf) und Weberei PURPUR - Bad Bramstedt (Herstellung)Stiftung Bauhaus Dessau
Gegen Ende der 1930er-Jahre sah sich Stölzl verschiedener Intrigen ausgesetzt – unter anderem initiiert von ihrer Kritikerin Reichardt.
1931 kündigte sie und ging in die Schweiz.
Otti Berger auf dem Balkon des Prellerhauses (o. J.) von Gertrud Arndt (geb. Hantschk)Stiftung Bauhaus Dessau
Die Leitung der Werkstatt übernahm erst Anni Albers, dann Otti Berger (hier im Bild), später holte Ludwig Mies van der Rohe – seit 1930 Direktor des Bauhauses – die Berlinerin Lilly Reich dafür ans Bauhaus, eine erfolgreiche Innenarchitektin ohne webtechnische Kenntnisse, die fortan den Schwerpunkt auf den Textildruck legte.
Reich war wenig beliebt bei den Studierenden. Im Jahr 1932 hatte die Werkstatt nur noch 3 Studierende, im Jahr darauf wurde das Bauhaus geschlossen.
Was bleibt?
Die Weberei des Bauhauses war eine der erfolgreichsten und größten Werkstätten der Schule und brachte große künstlerische Persönlichkeiten hervor, wie Anni Albers, der das New Yorker Museum of Modern Art 1949 eine Einzelausstellung widmete. Bis heute inspirieren ihre abstrakten Kreationen die Designer.
o. T. (Skizze Frau mit Kind auf Stahlrohrstuhl) (o. J. (1948/1959)) von Reinhold RossigStiftung Bauhaus Dessau
Auch war die Weberei ein erstes Übungsfeld der Emanzipation. Schließlich waren es die Studierenden selbst, die sie gründeten und mit ihrem Engagement prägten. Sogar die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wurde hier erprobt: So brachte zum Beispiel Gunta Stölzl ihre 1929 geborene Tochter zur Arbeit mit.
Maskenfoto Nr. 6 (ca. 1930) von Gertrud Arndt (geb. Hantschk)Stiftung Bauhaus Dessau
Wenn die Gleichberechtigung in der Gesellschaft auch noch lange Utopie bleiben sollte, die Bauhäuslerinnen hatten das Ideal tief verinnerlicht und für ihre Zeit fortschrittliche Ansätze verfolgen können. So versprechen sich die Bauhausweberin Gertrud Arndt (hier im Bild) und ihr Ehemann Alfred in ihrem Ehevertrag ...
o. T. (Nackte Frau mit Kleinkind und liegenden Mann) (1923) von Alfred ArndtStiftung Bauhaus Dessau
... neben regelmäßigem Frühsport und vielen Reisen auch die „völlige Gleichheit der Frau neben dem Manne“.
Text / Konzept / Umsetzung: Cornelia Jeske
Redaktion: Astrid Alexander, Cornelia Jeske
© Stiftung Bauhaus Dessau
www.bauhaus-dessau.de