Judith (1901) von Gustav KlimtBelvedere
Judith I, 1901
Acht Jahre nachdem Gustav Klimt das aufsehenerregende Gemälde „Judith I“ geschaffen hatte, beschäftigte er sich 1909 erneut mit diesem Thema. Die biblische Gestalt der Judith, die durch ihre körperlichen Reize den assyrischen Heerführer Holofernes verführt und ihm schließlich eigenhändig den Kopf abschlägt, um durch diese heroische Tat das jüdische Volk zu retten, übte auf Klimt und seine Zeitgenossen einen besonderen Reiz aus. Judith verkörperte für sie die Femme fatale, also eine Facette der Weiblichkeit, bei der Erotik und Gefahr eng miteinander verknüpft erscheinen.
Judith II Salomè (1909) von Gustav KlimtCa' Pesaro - Galleria Internazionale d'Arte Moderna
Judith II, 1909
Hatte Klimt in „Judith I“ die Heldin frontal mit dem Blick zu den Betrachtenden gezeigt, wählte er in der zweiten Version eine Darstellung, die Judith im Profil wiedergibt. Mit leicht vorgebeugtem Körper wendet sie sich in einer heftigen Bewegung nach links, ihr Blick ist in die Ferne gerichtet, das Gesicht erscheint im strengen Profil.
Mit dieser Dynamisierung ihrer Körperhaltung verknüpfte Klimt Judith möglicherweise mit einer anderen Erzählung aus der Bibel, nämlich mit dem Tanz der Salome. Salome, die Tochter der Herodias, hatte vor Herodes getanzt, und als Geschenk dafür wünschte sie sich auf Anraten ihrer Mutter das Haupt des Propheten Johannes, was ihr Herodes, wenn auch widerwillig, gewährte.
Auf den Tanz der Salome scheint Klimt anzuspielen, denn er zeigt Judith ganz offensichtlich in einer tänzerischen, nach vorwärts drängenden Bewegung.
Optisch wird diese Bewegung vor allem durch die großen Wellenlinien der beiden hellen Bänder akzentuiert, die offensichtlich als Accessoires des prachtvollen Kleides der Judith zu verstehen sind.
Auch mittels der Überfülle an Ornamenten, die in sehr unterschiedlichen Formen und Farbkontrasten das Muster des Kleides und den Schmuck der Judith prägen, erzeugt Klimt eine auffällige Unruhe und Dynamik.
Das Kleid weist vorwiegend geometrisches Dekor auf, häufig spitze Dreiecke, aber auch runde Spiralformen, die in unterschiedlichen Grautönen gehalten sind.
Die Chromatik dieser Grautöne wird durch die funkelnden, bunten Farben der diversen floralen Elemente und weiterer Ornamentformen auf dem Kleid belebt.
Der Reichtum an kontrastierenden Farben kulminiert im originellen Streifenmuster eines Tuchs, das einen Teil des Kopfschmucks von Judith bildet.
Auffällig sind auch die weichen, blumenähnlichen Dekorelemente, die wie eine Halskette Judiths Schultern teilweise bedecken.
Den Hintergrund gestaltete Klimt als eine nicht näher definierte, in feurigem Orange-Rot gehaltene Fläche, die teilweise mit einem goldenen Spiralmuster und vereinzelten Rechtecken, gleichfalls in Gold, ausgefüllt ist.
Dieses Orange-Rot ist ein neuer, bisher noch nicht verwendeter Farbton innerhalb der bereits reichen Palette von Farben, die dieses Bild beherrschen. Es lenkt den Gesamteindruck wesentlich in Richtung orientalisch-exotisch wirkender Prachtentfaltung.
Klimt lenkt den Blick von den markanten Gesichtszügen der schönen Frau hinab auf ihre freizügig offen präsentierten Brüste …
… um dann den Blick noch weiter hinab zu Judiths Händen zu leiten, deren gespreizte Finger jenen Sack halten …
… aus dem im untersten Bildteil das abgeschlagene Haupt des Holofernes herausragt. Klimt nutzt somit das ungewöhnlich schmale und hohe Bildformat für eine von ihm neu erfundene, kunstvolle und sogar dramatische Komposition.
Die Dynamisierung, die durch die Vielstimmigkeit der Farben und die Anhäufung der Ornamentformen erzielt wird, ist aber auch Bestandteil der Dramatik des Bildes, die Klimt vor allem durch eine raffinierte Blickführung erreicht.
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