DIE JAHRHUNDERT-AUKTION IN PARIS (1893)
🔘: „Nachdem es vierhundert Jahre lang recht ruhig um mich gewesen ist, wird es gegen Ende des 19. Jahrhunderts mal wieder so richtig spannend. Ich habe das große Glück nach Paris reisen zu dürfen. Hier rücke ich wieder in den Fokus der Öffentlichkeit.“
🔘: „1893 bin ich nämlich ein wichtiger Bestandteil der Nachlass-Auktion der berühmten Sammlung von Friedrich Spitzer (1815-1890). Der in Wien gebürtige, seit 1852 in Paris ansässige Antiquitätenhändler bereist ganz Europa. Er ist stets auf der Suche nach qualitätvollen kunsthandwerklichen Objekten des Mittelalters und der Renaissance, die er in seinem Pariser Palais und auf den Weltausstellungen präsentiert. Seine Kundschaft sind internationale Museen und finanzkräftige Privatiers. Zum Zeitpunkt von Spitzers Tod befinden sich noch über 3.000 Objekte in seiner Sammlung.“
🔘: „Die Nachricht der großen „Jahrhundert-Auktion“ geht um die Welt und entfacht einen Wettstreit auf dem internationalen Kunstmarkt. Wie ein Lauffeuer spricht es sich herum, dass auch ich bei dieser Auktion versteigert werden soll. Die Leute stehen in den Startlöchern, um auf mich zu bieten. Kunstinteressierte, die ihre Privatsammlung erweitern möchten, konkurrieren mit den größten Museen. Sie überbieten sich gegenseitig auf dieser international mit Spannung erwarteten Auktion. Die 3.000 Objekte werden versteigert und erzielen 9,1 Millionen Francs.“
SPONSERING-STRATEGIE EINES MUSEUMSDIREKTORS
🔘: „Auch Justus Brinckmann (1843-1915), Gründungsdirektor des 1877 eröffneten MK&G, bekannt für seine „Keramik-Manie“, hat ein Auge auf mich geworfen. Er fährt extra meinetwegen nach Paris und versucht auf dieser Auktion auf mich zu bieten. Denn mein Ruf eilt mir voraus.“
🔘: „Brinckmann lässt nichts unversucht, möglichst große Geldbeträge für die Auktion einzuwerben. Bereits Ende 1891 startet er eine entsprechende Kampagne. 1892 scheint das Unternehmen jedoch grundlegend gefährdet. Aufgrund einer in Hamburg wütenden Cholera-Epidemie kann der Staat keine Sondermittel bereitstellen. Doch Brinckmann gibt nicht auf. Neben öffentlichen Aufrufen in der Zeitung verfasst er hunderte von Bittbriefen und bemüht sich darüber hinaus in zahlreichen Hamburger Villen. Auf diese Weise gelingt es dem engagierten Museumsdirektor immerhin 50.000 Francs einzuwerben.“
🔘: „Brinckmann bietet im Rahmen seiner finanziellen Möglichkeiten eifrig auf der Auktion mit, doch da ist nichts zu machen – die anderen sind so wohlhabend, dass sie ihm alles vor der Nase wegschnappen. Er muss sich geschlagen geben.“
🔘: „Immerhin gelingt es ihm, ein paar wertvolle wissenschaftliche Instrumente und einen kleineren, in Urbino gefertigten Majolika-Teller für das MK&G zu ergattern.“
🔘: „Den Zuschlag für mich erhält jedoch der steinreiche Diamantenmagnat Alfred Beit. Mit einem erzielten Preis von 26.500 Francs bin ich das drittteuerste Los der Auktion.“
Steckbrief Alfred Beit
• 1853 geboren in Hamburg, ab 1875 in Südafrika, 1888 Hauptwohnsitz London
• seit 1898 britischer Staatsbürger, gestorben 1906
• Deutsch-britischer-südafrikanischer Gold- und Diamantenmagnat
• Besitzer eigener Minen in Südafrika
• Mäzen
• Justus Brinckmann berät Alfred Beit bei Kunstankäufen
• Wilhelm Bode, Berlin, berät Alfred Beit ebenfalls
• 1889 erste Gabe an das MK&G
• ab 1901 regelmäßig Stiftungen von Beit an das MK&G
• Schenkung von Objekten des 14. bis 17. Jahrhunderts
• 1893 Ersteigerung der Schüssel aus Isabella d‘Estes Service in Paris
• 1906 Vermächtnis der Schüssel an das MK&G
🔘: „So scheine ich für Hamburg verloren. Dass ich schließlich doch noch in die Hansestadt gelange, ist dem glücklichen Umstand zu verdanken, dass Alfred Beit gebürtiger Hamburger, ein Freund von Justus Brinckmann und „Fan“ des MK&G ist. Der Londoner Diamantenhändler erwähnt mich in seinem Testament und vermacht mich dem Museum. 1906 tritt der traurige Fall ein, und ich gelange als Vermächtnis des Verstorbenen durch Schenkung seiner Mutter Laura Beit ins MK&G.“
Majolika-Vitrine in Ausstellung (1906) von Weimar, WilhelmMuseum für Kunst und Gewerbe Hamburg
🔘: „Justus Brinckmann bestellt sofort eine neue Vitrine um mich auszustellen. Zu diesem Zeitpunkt bin ich das wertvollste Objekt, das dem MK&G seit Museumsgründung (1874) gestiftet worden ist. Bis heute zähle ich zu den Top Ten des MK&G.“
🔘: „Außer mir gelangen noch weitere siebzehn Majoliken über die Stiftung Beit ins MK&G. Justus Brinckmann ist hoch erfreut, weil dieses Konvolut von Majoliken die wertvollste Stiftung ist, die dem MK&G seit Gründung zuteilwird. Hier eine Auswahl von Majoliken aus der Sammlung Beit:“
Weitere Kapitel
1: EIN SERVICE FÜR ISABELLA D’ESTE – EINE SCHÜSSEL ERZÄHLT
2: WIE KOMMT EINE SCHÜSSEL INS MUSEUM?
3: EIN BEDEUTENDER AUFTRAG FÜR NICOLA DA URBINO
4: SCHNELLKURS MAJOLIKA
5: DIE SCHÜSSEL IM FOKUS
6: ISABELLA D’ESTE IM PORTRÄT
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