Eine grauenhafte Szene: Mit fürchterlicher Gewalt hat die halb verweste Gestalt des Todes einen jungen Mann zu Boden geworfen und reißt ihm die Kiefer auseinander. Die junge Begleiterin in leichtem, antikischen Kleid will schreiend fliehen, doch auch sie hält der geflügelte Knochenmann brutal fest: Mit den Zähnen hat er sich in ihr Gewand gebissen - er wird es nicht mehr loslassen. Diese hochdramatische Szene findet vor einer ruhigen Renaissance-Architektur statt, deren Dekor noch einmal auf den plötzlich und zu jeder Zeit auftretenden Tod hinweist: Oben links im Tor, durch das die junge Frau mit ausgestreckten Armen fliehen will, erscheinen ein Totenschädel und gekreuzte Knochen als Baurelief.
Links unten hat der Künstler signiert und datiert: Hans Burgkmair schuf diese Grafik im Jahr 1510 und demonstriert mit ihr seine Meisterschaft in einer neuartigen, im Wesentlichen von ihm entwickelten Drucktechnik, dem Helldunkelholzschnitt. Drei unterschiedlich geschnittene Holzstöcke wurden in verschiedenen Brauntönen eingefärbt und übereinander gedruckt, sodass sich das Bild - mit dem hellen, in die Komposition integrierten Papierton - aus vier Farben zu einer bislang unbekannten malerischen Wirkung zusammensetzt.
Neben seiner Tätigkeit als Maler (den Besuchern der Kunsthalle ist sein herausragendes Porträt Sebastain Brants aus altem markgräflichen Besitz bekannt) war Hans Burgkmair einer der erfindungsreichsten Grafiker der Renaissance, der sich auf den Holzschnitt beschränkte und dort neben den großen Auftragsarbeiten für Kaiser Maximilian ("Theuerdank", Weißkunig", "Triumphzug") auch Einzelblätter von höchster Originalität schuf. Dabei lieferte er lediglich die Zeichnungen, die der versierte Formenschneider Jost de Negker aus Antwerpen auf den Holzstock übertrug. "Der Tod überfällt ein Liebespaar" ist der ungewöhnlichste und beeindruckendste Helldunkelholzschnitt aus der Zusammenarbeit von Burgkmair und Negker und der erste, für den drei Stöcke benutzt wurden. In Karlsruhe liegt er in dem ausgesprochen seltenen ersten Zustand vor.
Von den oft in nur wenigen Abzügen überlieferten Holzschnitten Burgkmairs besitzt das Kupferstichkabinett 24 Exemplare aus altem markgräflichen Besitz.
[D.S.]
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