Als „geistvolle Darstellung einer Gesellschaft, die sich zu einem beträchtlichen Grad von Geistlosigkeit herabgetrunken hat“ beschrieb Hogarths geistvollster Erklärer Georg Christoph Lichtenberg das Blatt. Der Titel ist reine Ironie: Mitternacht ist lange vorbei, denn die Uhr zeigt vier Uhr morgens, und zu einer Unterhaltung ist keiner der elf sinnlos betrunkenen Herren mehr in der Lage. Modern ist die Szene insofern, als hier der Niedergang der Sittlichkeit als aktuelles gesellschaftliches Phänomen gegeißelt werden soll. Als Inspirationsquellen seiner mit scharfem Humor vorgetragenen Satire dienten Hogarth offenbar Beispiele des niederländischen Bildtyps der Fröhlichen Gesellschaft – etwa von Jacob Jordaens oder Jan Steen – mit ihren oft derben Motiven. Wie in einer Versuchsanordnung demonstriert Hogarth die je unterschiedliche Wirkung des Alkohols auf verschiedene Charaktere und Repräsentanten bürgerlicher Professionen. In der Unterschrift des Blattes betont er, dass diese Gestalten als prototypische Vertreter des Lasters und nicht als Porträts bestimmter Personen aufzufassen seien. Das hat Zeitgenossen von Identifizierungsversuchen freilich nicht abgehalten. Dem im Vordergrund Fallenden wird von einer wankenden Gestalt – allgemein als Arzt gedeutet – Wein auf das bepflasterte Haupt gegossen. Dem schon fest eingeschlafenen Nebenmann zur Linken ist die Perücke vom Kopf in den Nacken gerutscht. Ein mit leerem Blick aus dem Bilde blickender Raucher hat Perücke und Hut vorsichtshalber an einen Haken gehängt und sich bereits eine Nachtmütze aufgesetzt. Die in der Blattmitte frontal gegebene Gestalt wird als Advokat gedeutet. Am muntersten blickt ein Geistlicher, auf dessen Perücke ein Schreihals (angeblich ein Tabakhändler und Kneipensänger) mit erhobenem Glas wie segnend die eigene Perücke legt. Es folgen ein sich Erbrechender und, ganz rechts, ein Mann, der sich im Suff statt der Pfeife die eigene Manschette in Brand setzt. Durch die Zeitungen, die ihm aus der Rocktasche lugen, ist er als Politiker gekennzeichnet. A Midnight Modern Conversation gehört zu den ersten Hauptwerken der von Hogarth erfundenen Bildgattung der modern moral subjects, mit denen er der Graphik eine zentrale Funktion innerhalb einer neuen bürgerlichen Kunst zu verschaffen suchte. Das nach Ausweis der Signatur nach einem eigenen Gemälde geschaffene Blatt erlangte rasch breiteste Popularität, auch auf dem Kontinent. Selbst als Dekor von Trinkbechern und Punschterrinen wurde die Szene gern verwendet – womit man Hogarths Absichten freilich gründlich missverstand. (Ausst. Kat. Braunschweig HAUM 2009, epochal, Kat. Nr. 99, Thomas Döring)
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