Wie es scheint, handelt es sich bei dem vorliegenden Blatt um ein nach dem Leben gezeichnetes Porträt. Es ist jedoch höchst unsicher, ob diese nach heutiger Vorstellung selbstverständliche Aussage richtig ist, denn die ziemlich große Zahl vergleichbarer Bildniszeichnungen von der Hand Schongauers – liebliche Mädchen und exotische »Orientalen« - geben sich durch die etwas gleichförmige Typisierung und schönlinige Strichführung als erfundene, aus der Vorstellung geschöpfte Kompositionen zu erkennen. Auf unserem Blatt wirken dagegen die derben Striche an Pelz und in den Achseln so spontan, der Gesichtsausdruck so individuell, daß wir an eine Naturaufnahme glauben; nur das aus abweichendem Blickwinkel wiedergegebene Ohr widerspricht dieser Annahme. Echte Bildnisse, im Mittelalter eine Seltenheit, seit ca. 1400 vereinzelt aufkommend […], waren um 1475 keine Seltenheit mehr. Dennoch entstand die unabsehbare Menge treuer Porträtdarstellungen erst seit ca. 1500.