Der geflügelte Bezoarbock war der linke von zwei Henkeln einer silbernen Amphore, sein Gegenstück »aus Amisos am Pontos« befindet sich im Musée du Louvre in Paris. Die massiv gegossenen Tiere standen mit ihren Vorderhufen auf der Mündung eines großen Gefäßes, die Attaschen unter den Hinterläufen waren auf der Schulter angelötet. Mitten im Sprung ist das Tier dargestellt, grazil und kraftvoll; neugierig wendet es den Kopf mit dem spitzen Ziegenbart dem Betrachter des Prunkgefäßes zu (Gesamthöhe einst ca. 50 cm). Die großen Flügel entheben den Bezoar-Ziegen-bock (capra aegagrus) ins Fabelhafte. Ihre Federn sind überaus fein ziseliert, ebenso die Haare an Kopf, Ohren und Bart des Bocks, die Knorpel der typisch langen, gebogenen und spitzen Hörner, die Hufe und die Silensmaske auf der Attasche. Diese Teile sind zudem alle hervorgehoben durch die Auflage eines dünnen, in den gravierten Grund eingedrückten Goldblechs, das mit dem Ziselierstichel überarbeitet wurde. Diese aufwändige Silberarbeit ist ein Meisterwerk persischen Kunsthandwerks aus der Zeit der Achämeniden, des ersten persischen Großreiches, das vom späten 6. Jahrhundert bis zur Niederlage gegen Alexander den Großen 330 v. Chr. über weite Teile der antiken Welt von Ägypten bis Kleinasien, vom Kaukasus über den Vorderen Orient bis Pakistan herrschte. In der Hochblüte des Königtums entstanden Prunkgefäße in verschwenderischer Verwendung von Gold und Silber, u. a. Amphoren mit Ausgüssen in den Tierhenkeln oder am Boden. Zu einem solchen Amphorenrhyton gehörten auch die beiden Bockshenkel in Berlin und Paris; dieser Gefäßtyp hat einen ovoiden, geriefelten Körper, einen langen glatten Hals mit ausladender Lippe und seitlich des flachen Bodens zwei Ausgusstüllen. Unsere Henkel unterscheiden sich von denen an früheren, bei Sinope am Schwarzen Meer oder bei Duvanli in Bulgarien gefundenen, kompletten Amphorenrhyta durch die lebhafte, naturgetreuere und grazilere Gestaltung der Tiere, besonders aber durch die dem Benutzer zugewandten Köpfe.Dies mag an dem kulturellen Einfluss liegen, den die griechischen Städte Amisos und Sinope an der Südküste des Schwarzen Meeres auf die persische Kunst ausübten. Sie waren direkt dem Großkönig unterstellt und spielten als Hafenstädte eine strategisch wichtige Rolle in der Expansionspolitik der Achämeniden. Erzinçan am Oberlauf des Euphrat im Hochland Ostanatoliens lag an einem Knotenpunkt persischer Karawanenstraßen, die gen Westen nach Amisos (Samsun) führten.