Franz Marc suchte in seiner Kunst zum „Geistigen Wesen der Dinge“ vorzustoßen und fand dabei zum Bild des Tieres, das für ihn eine dem Menschen abhanden gekommene, kreatürliche Unschuld symbolisierte. Unter dem Eindruck von Robert Delaunays Malerei löste er seine Gemälde ab 1912 in prismatische Formen auf. Diese für Marc bedeutendste Schaffensphase fand im darauffolgenden Jahr, in dem auch das Reh im Blumengarten entstand, ihren Höhepunkt. In Form und Farbe geht das Tier ganz in dem kristallin facettierten Umraum auf. Sein zarter Laib und der geschwungene Hals korrespondieren mit den weichen, runden Pflanzenformen. Doch ist am Vorabend des Ersten Weltkrieges ein bedrohliches Moment in Franz Marcs sonst so harmonische Einheit von Tier und Natur gedrungen: Das Tier wirkt gehetzt und hat seinen Kopf sichernd nach hinten geworfen. Seitlich wird es von einem spitzen Keil angegriffen, rot-orange Partien lassen blutende Wunden assoziieren. Das Reh steht damit in der Bildtradition des Agnus Dei, des Opferlamms Gottes. In seiner Verschmelzung mit der Natur beschreibt es zudem den Zyklus des Werdens und Vergehens. Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges löste sich die Künstlergruppe Der Blaue Reiter auf, der Wassily Kandinsky und Franz Marc in München seit 1911/12 als führende, kongeniale Persönlichkeiten vorgestanden hatten. Marc wurde eingezogen und fiel 1916 in Frankreich.