Die Kaninchenjagd ist die einzige von Pieter Bruegel d. Ä. eigenhändig ausgeführte Radierung. Ansonsten überließ es dieser erfindungsreiche und produktive Künstler spezialisierten Kupferstechern und Radierern, seine Zeichnungen in druckgraphische Blätter umzusetzen. Europäische Verbreitung erlangte Bruegels Graphik durch seine Zusammenarbeit mit dem Antwerpener Verleger Hieronymus Cock, der auch diese Radierung in seinem Verlagshaus Aux Quatre Vents (Zu den vier Winden) veröffentlichte. Bruegels Radierung ist als Versuch ein Meisterwerk dieser Technik – allein der Zahlendreher in der Datierung deutet seine Unerfahrenheit im Umgang mit einer (seitenverkehrt zu bearbeitenden) Druckplatte an. Wir wissen nicht, warum Bruegel es bei dieser einzigen Radierung beließ. Ein Grund dafür mag seine in den 1560er Jahren einsetzende Konzentration auf die Malerei gewesen sein. Mit einem reich abgestuften Arsenal von Strichen und Punkten unterschiedlichsten Charakters erschafft Bruegel ein Landschaftsbild von suggestiver räumlicher Tiefe und lichterfüllter Atmosphäre. Darin zieht er gewissermaßen die Summe aus den vorausgegangenen, von den Brüdern van Doetecum gestochenen und radierten Großen Landschaften, vor allem aus dem Blatt Der heilige Hieronymus in der Wildnis. Der Vergleich mit der in Paris (Fondation Custodia, Collection Frits Lugt) erhaltenen Vorzeichnung erweist, dass Bruegel die Kaninchenjagd zunächst ausführlich vorbereitete, was ihn jedoch nicht hinderte, manches Motiv bei der Ausführung der Radierung auf der Kupferplatte neu zu erfinden. Wir blicken über die rechts ansteigende Flanke eines Gebirges, bekrönt von einer Burg und zum Bildrand begrenzt durch einen knorrigen Baum, auf eine in der linken Blatthälfte sich weit erstreckende Flusslandschaft. Der mäandernde Flusslauf mündet am Horizont bei einer Stadt in das Meer. Belebt wird diese Weltlandschaft von überall zu entdeckenden Spuren der Zivilisation: Häuser und Gehöfte, Kirchen und Kapellen, Schafe und Kühe, vereinzelte menschliche Figuren, Boote auf dem Fluss. Während die Architektur nordalpin und im Besonderen niederländisch anmutet, dürfte das bis ans Meer reichende Gebirge ein Reflex von Bruegels Italienreise zwischen 1551 und 1554 sein. Wie sein Biograph Karel van Mander ein halbes Jahrhundert später schrieb, habe Bruegel „als er in den Alpen war, all die Berge und Felsen verschluckt und sie, nach Hause zurückgekehrt, auf Leinwände und Malbretter wieder ausgespien“. Doch was hat das mysteriös-unheilvoll wirkende Geschehen im Vordergrund zu bedeuten? Ein Jäger legt mit der Armbrust auf eine Gruppe von Kaninchen an. Dabei wird er seinerseits von einem spießbewehrten Mann beschlichen, der es offenbar auf ihn abgesehen hat. Man hat diese Figurenkonstellation unter anderem unter Verweis auf ein von Terenz entlehntes Sprichwort aus den Adagia des Erasmus von Rotterdam zu deuten gesucht: Tute lepus es, et pulpamentum queris – Du bist selbst Hase und suchst Wildpret. So bringt Bruegel nicht ohne Humor eine zwiefältige Wahrheit zum Vorschein: die weite und wunderbare Welt als Werk Gottes und zugleich als Schauplatz menschlicher Verirrung. (Ausst. Kat. Braunschweig HAUM 2009, epochal, Kat. Nr. 31, Thomas Döring)