Documentos do Arquivo Pessoal de Gilberto Gil

Moderation: PBS: Und solche Interventionen werden auch von jungen Künstlern in der Ausstel- lung selbst gezeigt, z.B. von Marepe Der Umzug: ein Pritschenwagen in Ori- ginalgröße ganz aus Holz, extrą für die Tropicalia geschaffen, vollgepackt mit Hausutensilien, auch sie aus Holz - ein Kommentar zu erzwungenen Umsiedlungen oder Vertreibungen, die viele Brasilianer erleiden. Dieser Ma- repe (es ist ein Künstlername) steht zusammen mit anderen hier vertretenen Künstlern für eine neue Entwicklung der brasilianischen Kunst des 21. Jahr- hunderts. Sie kommt nicht mehr - wie in den hier beschworenen 60er Jahren - nur aus den beiden Metropolen Rio und São Paulo, sondern aus verschie- denen Regionen wie z.B. aus dem oft vernachlässigten Nordosten, aus Recife oder Salvador de Bahia. Tropicalia heißt diese Ausstellung nach der Installation von Oiticica. Tro, cália wurde danach ein berühmtes Plattenalbum von Gilberto Gil und Caeta- no Veloso genannt. Ist der Tropikalismus die beherrschende Strömung in der brasilianischen Kunst und Kultur? Da muß man sehr vorsichtig sein, genauso wie mit dem Begriff der Antro- pophagie, der Kannibalisierung, der Einverleibung fremder Einflüsse als et- was typisch Brasilianisches, denn das ist das Prinzip der Kunst des 20. Jahr- hundert, zum erstenmal formuliert 1922 in Brasilien von Oswald de Andrade. Der Tropikalismus ist zunächst mal eine Tendenz, die von 1967 bis 1972 dauerte und sich neben der Kunst ganz besonders in der Musik, teilweise auch im Film, ausdrückte. Beides sind Konzepte, Quellen der Inspiration, die gerade heute wieder bei der jüngeren Künstlergeneration eine wichtige Rolle spielen. In den 80er und 90er Jahren wollte man davon kaum etwas wissen. Aber in dieser Welt der fehlenden Orientierung haben sie eine neue Aktuali- tät gewonnen. Man darf bei uns nur nicht glauben, daß die Kunst und Kultur Brasiliens mit solchen Begriffen gültig zu definieren wäre.