Frankfurter Allgemeine
Sonntagszeitung
Feuilleton S.31 2/4 Pressespiegel
mungen eine Identität finden, aber
am Ende bestätigten sie doch
die
Diversität. Monismus war nie ein
Das ist die Sehnsucht nach einem
Menschen, oder etwas anderem,
als ein gutes Gefühl
. Sie vermissen
philosophischer Nährboden in Bra jemanden so sehr, daß es schmerzt,
silien. Das ist wohl auch einer
Brar und gleichzeitig haben Sie fast eine
Gründe, warum wir nie ein
Nach- etwas Wichtiges, etwas Besonderes
provoziert haben. Wir woll- ist
. „Saudade" bedeutet die Anwe-
barland angegriffen
ten nie einem anderen Land unsesenheit der Abwesenheit.
re Kultur aufwängen, weil diese
von Anfang an darauf angelegt
war, sich mit anderen zu vermi-
schen.
Das andere Wort heißt ,,Alegria“.
Die Freude am Leben. Alegria ist
wie eine Prüfung in der Schule,
wenn Sie Alegria haben, kommen
Sie in die nächste Klasse. Wenn
nicht, dann nicht. Es ist
im Leben.
Warum spielt Musik im öffentli-
chen Leben so eine bedeutende Rol
le? Sie sind Kulturminister, der
internationale Flughafen von Rio
heißt „Antonio Carlos Jobim
nannt nach dem
zwei
Das klingt alles sehr schön. Aber
Brasilien bat auch viele Probleme.
Das ist richtig. So wie unser Land
durch Toleranz, Freude und kultu-
rellen Austausch gekennzeichnet
Test tigkeit und Ausgeschlossensein ge-
es auch durch Ungerech-
Wie bekommt man Alegria?
kennzeichnet. Das sind
“, be- Eigentlich genügt dafür schon die ben Medaille. Unsere
widersprüchlichen Seiten dersel-
Anstrengung
des Tatsache, daß man am Leben ist. geht weiter dahin, daß die schlech-
Welthits „Girl from Ipanema“.
Komponisten
Dann muß man erkennen, daß dies te Seite von der guten angesteckt
Ja, wie wäre es mit einem Johann- kein einsamer Zustand ist
. Man und umgewandelt
wird.
Sebastian Bach-Bahnhof in Leip- muß sein Leben mit anderen Men-
zig,
das ist
ist doch ganz normal. Ich schen teilen, und mit seiner Zeit,
glaube, wir Brasilianer machen der Natur, dem Raum verbunden
eine sehr volksnahe Musik, wir bleiben.
keine Akademiker, es ist eine
sehr freie Art, Musik zu machen, lich nicht die geringsie Angst vor
Werum baben Brasilianer eigent-
sie ist phantasievoll
erlaubt den Menschen zu träumen. Weil wir glauben, daß das Leben
Sie werden Ende Mai als Schirm- auch für Pathos gemacht ist. Wir
herr der ,,Copa da Cultura" vom Menschen sind die am höchsten
der Kulturen nach Berlin
sind
Was kann Europa von Brasilien
lernen?
Offen zu sein. Bereit zu sein für
den Dialog, den Austausch. Dieser
nischen bezeichnet habe, ist im
Prozeß, den ich vorher als brasilia-
Grunde eine Aufgabe, vor der
in-
zwischen die ganze Welt steht. Die
das betrifft die Wissenschaft,
kommen. Im Rabmen dieser brasi- entwickelten Wesen, wir wurden die Religion, die Kultur, die
schaft wird es
dangef wrazbereiten. Wer ausforde- sophie alle Bereiche. Das bedeu-
,
große Aus- ben zu stellen. Also sollten wir es
sie unserer Die Anführer die
Tropicália geben. auch run. Und keine Angst davor
ser Musikbewegung, die auch den Ben Gefühle, die großen Gedan-
Haus
lianischen
Kultur-Weltmeister
ander teilen. Im Fußball ist das
sichtbar. Damit
brasilianischen
wettbewerbsfähig bleiben
konnten, mußten sie etwas von der
Staat
Tropicália
sche Strukturen, Regeln in unserer men. Der europäische Fußball wie-
Der Pbilosopb Vilém Flusser war
der Ansicht, das zutiefst Humane
der brasilianischen Gesellschaft
könnte ein Vorbild sein, ein Ent-
Die Botschaft Brasiliens an die
wurf für den Neuen Menschen.
wurf, kein Modell
, nur ein ständi-
ges Entwerfen.
erreicht
wir
ser offenen,
einladenden Atmo- ment sind wir aber auch Wilde. on, Beweglichkeit, das ist ein wech-
sphäre in unserem Land zu verdan- Wir lernen von anderen Nationen, selseitiges Lernen.
Hautfarben, verschiedene Religio- sind durstig nach
Was sagt Fußball über die brasilia-
nen akzeptiert werden. In den die ursprünglichen Elemente, wie Fußball macht unsere Kult
wir haben auch keine Angst davor, nische Kultur aus?
Zivilisation, aber
sicht-
Sechzigern gab es viele Konservati-
wurde, weiterzugehen.
etwa die afrikanische Candomblé- bar. Denn er ist ebenfalls aus vie-
ve, die plötzlich eine brasilianische gen. In diesem Sinne sind wir ein Spiel, das die Engländer zu uns
Religion, zu bewahren und zu pfle- len Teilen zusammengefügt. Ein
Tradition forderten, die wollten, neues Land, wir sind dazu da, et- brachten und das in Dialog trat
daß unsere Kultur streng um ihre neces
was
Wurzeln kreist. Ein paar wollten was zu vervollständigen, diesen mit unserem Körper, unserer Art
elektrische
Gitarren
langer Zeit angelegt zu tanzen, unseren Legenden, un-
verbie-
ten, weil sie
angeblich den Imperia: Wo soll er binführen?
serer Irrationalität. Wie jemand
lismus symbolisierten.
spielt, wie er den Ball berührt, die
ten dagegen ankämpfen und schrei. Darum geht es nicht. Der Prozeß Gesten, das
en: Nein, laßt die Tore offen, wie ist wichtig. Was uns von anderen Kultur aus, das kann man beobach-
sie es immer waren!
Nationen unterscheidet, ist, daß ten.
wir keine Ziele haben. Wir wollen
In der brasilianischen Musik tau- keine große Macht werden, nie-
chen immer wieder zwei Wörter manden anführen, wir wollen ein-
auf, die Sie uns vielleicht erklären fach nur leben und teilen. Unser
können. Das erste beißt „Sauda- Fortschreiten, unsere Entwicklung
ist ein natürlicher Prozeß. Wir ver-
trauen unserem Bewußtsein.