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Documents from Gilberto Gil's Private Archive

Instituto Gilberto Gil

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Brazil

  • Title: Documents from Gilberto Gil's Private Archive
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    29.06.2006 Frankfurter Allgemeine Zeitung / Kino Auf daß die Schönste gewinnen möge Brasilianisches Kino im Zeichen der Weltmeisterschaft Futebol und Futsal Ob Brasilien in diesem Jahr den sekh- sten Weltmeistertitel im Fußball gewinn oder nicht an der Sonderstellung der Re. präsentanten des „Futebol" wird sich in absehbarer Zeit wenig ändern. Das sehen die professionellen Beobachter so, aber auch passionierten Literaten und die kulturhistorisch beschlagenen Fans hegen daran keinen Zweifel. Es gibt sogar einen Begriff, der den Unterschied bezeichnet: ,,Ginga“ meint eine besondere Fähigkeit, den Körper und Ball) zu bewegen. Nicht überall wird dies so unverhohlen mit Sexualität assoziiert wie in einer Regi- on am Amazonas, in der ein Fußballtur- nier für Amateure immer parallel mit ei- ner Schönheitskonkurrenz abgehalten wird. Die Mannschaft, zu der die ... Miss Pe- ladão" gehört, kann noch so schwach spie- len - sie ist ,unabsteigbar" kraft der Schönheit ihrer weiblichen Repräsentan- tin auf dem Laufsteg. Diese Episode aus dem Dokumentar- film ,,Ginga“ von Hank Levine, Marcelo Machado und Tocha Alves verrät viel auch über die Mythologie, die Brasilien aus seinem Fußball gemacht hat. Es geht dabei nicht einfach um Spiel und Sieg, es geht auch um Vorspiel und Verführung und um eine große Show. Mit seinen ra- send schnellen Schnitten und Überblen- dungen macht ,,Ginga“ selbst den einen oder anderen Drübersteiger, vergißt da- bei aber nicht die Realitäten diesseits der Seleção. Von den vielen halbwüchsigen Jungen aus den Favelas, die bei den gro- Ben Clubs in Rio de Janeiro und São Pau- lo vorspielen, bekommen drei, vier Hoch- begabte eine Chance. Der Rest bleibt auf den Betonplätzen oder schafft es allen- falls beim Futsal", dem kleinen Bruder von „Futebol". Im Futsal" sind Ball, Spielfeld, Mann- schaften kleiner, die Technik ist wichtiger, manche Stars agieren so virtuos, daß sie sich nicht so sehr für ein Engagement bei Real Madrid als für eine Akrobatenshow von André Heller empfehlen würden. Manche schaffen aber auch den Sprung in das richtige Spiel. Mit Robinho, einem der Hoffnungsträger der aktuellen Sele. ção, gibt es in ,,Ginga“ eine wunderbare Szene, in der er seinen ersten Trainer auf- sucht, der sofort ein Video hervorkramt, auf dem Tore und Jubelszenen eines zum Zeitpunkt der Aufnahmen noch nicht ein- mal zehnjährigen künftigen Stars zu se- hen sind. S. 45 Die Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland hat ein breitgefächertes kul- turelles Begleitprogramm mit sich ge- bhacht, zu dessen positiven Begleiterschei- nungen es gehört, daß auch Filme wie ,,Gira" einmal in Deutschland zu sehen sind. Das Berliner Haus der Kulturen der Welt widmet sich in diesen Tagen schwer- punktmäßig Brasilien. Eine von Carlos Basualdo kuratierte Ausstellung rekon- struiert die Geschichte der bedeutenden Kunstbewegung .Tropicalia“, zu der in den sechziger und siebziger Jahren sowohl populäre Musiker wie bildende Künstler und auch Filmemacher wie Glauber Ro- cha beitrugen. Parallel läuft noch bis zum Datum des WM-Finales in Berlin am 9. Juli eine Filmschau mit dem Titel „Post Ci- nema Novo“, die schwerpunktmäßig die Entwicklung des brasilianischen Kinos nach dem Ende der Militärdiktatur und während des wirtschaftlichen Auf schwungs seit den neunziger Jahren nach vollzieht. Der ,,Futebol" taucht dabei an den verschiedensten Stellen auf. Ein abendfüllendes Porträt von ,,Pelé eterno von Anibal Massaini Neto kann dabei auf Unmengen von Material zurückgreifen. Nicht minder beliebt, wenn auch in ei- nem anderen Feld, ist der Sänger Chico Buarque, über den es eine zwölfteilige Fernsehserie gibt, in der ein Kapitel ei- gens der Leidenschaft für Fußball gewid- met ist. Mit seiner Mannschaft ,,Polithea- ma“ (so heißt auch einer seiner Hits) for- dert er gelegentlich die Veteranen des FC Santos heraus. Fußball bildet für das brasi- lianische Kino aber auch dort einen Moti- vationshorizont, wo es nicht ausdrücklich um den Sport geht. Die nach wie vor kras- sen sozialen Unterschiede sind nämlich das eigentlich bestimmende Thema. Die mit dem Fußball verbundenen Aufstiegs- hoffnungen werden häufig enttäuscht, und sehr viele Brasilianer kommen nie auch nur in die Nähe der Möglichkeit des organisierten Sports. Sie schlagen sich von Tag zu Tag unter prekären Umständen durch. 1/3 Pressespiegel und Moderne Die Filme in der Reihe „Post Cinema Novo" widmen sich immer wieder auch der Frage, wer von der wirtschaftlichen Modernisierung profitiert. Die kommer- ziellen Erfolge von Regisseuren wie Wal- ter Salles („Central do Brasil") oder Fer- nando Meirelles City of God") haben paradoxerweise auch die wesentlich kom- promißloseren Filmemacher des., Cinema Novo" (der brasilianischen Entsprechung zum neuen deutschen Film) wieder zu Eh- ren gebracht. Meirelles tritt so auch in dem mittellangen Dokumentarfilm ,,Era Uma Vez Iracema - Es war einmal Irace- ma" auf, in dem Jorge Bodanzky auf sei- nen eigenen Film ,,Iracema" aus dem Jahr 1975 zurückblickt. Dieser moderne Klassi- ker wurde damals vom ZDF koproduziert und steht nun zu Recht im Zentrum von ,, Post Cinema Novo". Bodanzky erzählte in ,,Iracema" eine ty- pische Geschichte aus der Amazonasregi- on. Die Titelfigur, ein fünfzehnjähriges Mädchen, schlägt sich als Prostituierte durch, wenn sie nicht gerade versucht, als Schneiderin ein neues Leben zu begin- nen. Der Lastwagenfahrer Tiao, an des- sen Seite sie eine Zeitlang bleibt, läßt sie schließlich wieder auf der Straße zurück. Bodanzky läßt in Iracema“, ohne dabei die Form des Spielfilms zu verlassen, die Bewohner der Amazonasregion ausführ- lich zu Wort kommen. Sie erzählen von den Straßen, die sie in den Dschungel schlagen, weil die Regierung sie an der fal- schen Stelle baut. Sie rechtfertigen den Edelholzschmuggel, weil sie wissen, daß sie damit nur den Großunternehmern zu- vorkommen, die es sich leisten können, die Beamten zu bestechen. ,,Iracema“ ist mustergültiges politisches Kino, in dem sich individuelle Identifikation mit einem soziologischen Interesse verbindet. Eine neuere Fernsehreportage wie ,,Vai- dade“ („Vanity“) von Fabiano Maciel be- ruht auf einer analogen narrativen Struk- tur: Hier ist es eine Ex-Prostituierte na- mens Simara, die auf einem Kanu den Amazonas beführt und Schönheitsproduk kauft. Die Demokratisierung Brasiliens brachte auch eine wachsende Medienviel- falt mit sich, die nicht ohne Auswirkungen auf das Kino bleiben konnte. Die Gren- zen zwischen Film und Fernsehen ver- schwimmen wie überall. Fernando Meirel- les ließ seinem Welterfolg ,,City of God" eine Fernsehserie mit dem Titel ,,City of Men" folgen, in der die Schicksale zweier Jungen aus einem Elendsviertel in Rio de Janeiro in ein attraktives Format gebracht wurden, das von den tatsächlichen Span- nungen im sozialen Gefüge von Brasilien nur schemenhafte Andeutungen macht. In dem Drama um den Autobus 174, das José Padilha und Felipe Lacerda in ih- rem Dokumentarfilm ,,Onibus 174“ re-
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