Die Göttliche Komödie von Dante Alighieri, eines der wichtigsten und komplexesten Werke der Weltliteratur, schildert in einhundert Gesängen die Reise des virtuellen Dante durch die drei Jenseitsreiche Inferno (Hölle), Purgatorio (Läuterungsberg) und Paradiso (das himmlische Paradies). Im ausgehenden 15. Jahrhundert, beinahe 200 Jahre nach der Entstehung der Commedia, unternahm Sandro Botticelli die ungeheure Aufgabe, diese poetische Vision des Universums vollständig mit Bildern zu versehen. […] Dabei sind Bild und Text nicht kombiniert, sondern sie nehmen, gleichberechtigt, jeweils eine ganze, eigene Seite ein. […]
Die hauchzarten Silberstiftzeichnungen sind auf Pergament ausgeführt und größtenteils mit brauner Tusche nachgezogen, wobei zahlreiche Pentimenti vom künstlerischen Entstehungsprozess und einem Ringen um die adäquate Umsetzung des Wortes ins Bild Zeugnis geben. Einige wenige Blätter sind koloriert - unter ihnen zählt die Darstellung von Inferno XVIII zu den am weitesten ausgeführten Blättern. Die Bilderzählung beginnt in der linken oberen Ecke, wo wir Geryon sehen, der Dante und Vergil zu den Malgebolge (Elendsgruben) gebracht hat. Der halb menschliche, halb schlangenhafte Wächter am Übergang zu diesem achten Kreis des Inferno ist als einzige Gestalt unkoloriert geblieben. Die beiden Wanderer bewegen sich zunächst nach rechts am Rande des Grabens entlang, in dem die Seelen der Kuppler von gehörnten Teufeln gepeitscht im Kreis getrieben werden. Dante geht ein paar Schritte zurück, weil er eine der Seelen erkannt hat. Sodann passieren er und sein Führer eine steinerne Brücke, von der aus sie die Gesichter der sich in dieser Richtung bewegenden Verdammten sehen können. Vergil weist Dante hier auf Jason hin, der, mit einer Krone versehen, dafür büßt, die Liebe von Medea missbraucht zu haben. Aus der nächsten Grube schlägt den Wanderern schrecklicher Gestank entgegen. Hier verbüßen die Schmeichler und Dirnen in einem Sumpf von Kot ihre ewige Strafe. Nachdem Dante mit einer der Seelen gesprochen hat, gehen er und sein Führer weiter zum dritten Graben, von dem im folgenden Canto die Rede ist.
[…] Die Erwerbung der 85 Zeichnungen für Berlin ist ein außerordentlicher Glücksfall der musealen Sammlungsgeschichte. Bereits 1854 hatte Gustav von Waagen sie in der Bibliothek der Herzöge von Hamilton in Schottland entdeckt. Als 1882 bekannt wurde, dass die Sammlung der Hamilton zum Verkauf geboten werden sollte, setzte sich Friedrich Lippmann, der damalige Direktor des Kupferstichkabinetts zusammen mit engagierten Freunden der Königlichen Museen für die Erwerbung ein.