„Vionnet hat vor zwei Jahren eine Revolution ausgelöst, … sie hat uns Kleider vorgeschlagen, die nicht nur kein Futter haben, sondern geschlossen sind und die man nach Belieben über den Kopf zieht …“, berichtete die französische „Vogue“ in ihrem Februarheft 1922. Das Abendkleid aus schimmerndem Crêpe-Satin ist ein typisches Beispiel für diese „Revolution“. Es ist gerade geschnitten und ungefüttert. Das Oberteil fällt blusig über die Hüfte. Hierfür ist in seinem Inneren in Hüfthöhe ein etwas breiteres Band aus Seidengeorgette angebracht, und die Weite ist seitlich mit einer Falte eingehalten. Unterhalb der Arme sind breite Satinstreifen eingefügt, die mit von Hand gedrehten Satinröschen verziert sind. Da das Kleid keinen Verschluss hat, wird es lose über den Kopf gezogen, was der weite ovale Ausschnitt ermöglicht. Von 1919 bis 1925 arbeitete Madeleine Vionnet (1871–1975) mit dem Florentiner Bildhauer, Maler und Stoffdesigner Ernesto Michelles (1893–1959) „Thayaht“ zusammen. Er entwarf für sie Textilien, Kleidung und Schmuck und illustrierte ihre Arbeiten über Jahre hinweg in der „Gazette du Bon Ton“. Auch das auf dem originalen Verpackungskarton abgebildete Firmensignet ist von ihm gestaltet worden. Ein vergleichbares Kleid befindet sich im Kyoto Costume Institut (Inv.-Nr. Ac 6423 89-21-6).