Eine der schönsten Karlsruher Zeichnungen aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts zeigt vier junge Frauen, die wie bei einem höfischen Tanz anmutig nebeneinander stehen. Ihre Bewegungen sind rhythmisch aufeinander abgestimmt, die Faltenwürfe ihrer Gewänder verbinden sich in einer harmonischen Komposition zu einer fließenden Bewegung über das Blatt, während die unterschiedlich geneigten Köpfe das Taktmaß vorzugeben scheinen. Der Anstand ihrer gemessenen Bewegungen und sittsam gesenkten Häupter täuscht: Die zweite Dame von links hält eine Männerunterhose in der Hand, und ihre Gefährtin rechts daneben wiegt den Preis ihrer Liebe auf einer Waage in der Linken. Die trügerischen Tugenden entlarven sich damit als verführerische Vertreterinnen der käuflichen Liebe.
Nach 500 Jahren strahlt die weiße und gelbe Pinselzeichnung annähernd unverändert auf dem rot grundierten Papier. In meisterhaft gesetztem Duktus umschmeicheln die zarten Linien virtuos die schönen Gestalten wie in einer gezeichneten Melodie, wobei die Rückansicht der vierten Dame den reizvollen Schlusspunkt bildet. Die ornamental geschwungene Banderole im Zentrum trägt die Abkürzungen zweier Sinnsprüche, die auf die Wandelbarkeit des Glücks hinweisen und vom Künstler häufig verwendet wurden: "Niemand kann alles wissen" und "Gott gebe uns Glück". Der Dolch auf dem Boden erscheint als Ersatz für die Signatur: Es ist ein Schweizerdolch, Kennzeichen der Schweizerkrieger, mit dem Niklaus Manuel Deutsch als ehemaliger Söldner seine Werke signierte.
Anfang des 16. Jahrhunderts zählte Niklaus Manuel Deutsch zu den bedeutendsten Künstlern der Stadt Bern. Beeinflusst von Hans Baldung Grien und Urs Graf war er jedoch nicht nur prominenter Maler, Graphiker und Zeichner, sondern auch Söldner, Schriftsteller, Landvogt und Staatsmann, der nachdrücklich die Reformation unterstützte. Seine experimentelle Zeichentechnik zeigt sich insbesondere in den Helldunkelblättern, deren Technik er wohl durch Baldung kennenlernte und zu einem frühen Höhepunkt führte. Neben der Thematik des Reislaufs (der eidgenössischen Söldner und ihrer Rivalität mit den deutschen Landsknechten) handeln seine Zeichnungen oft von der Verführungskraft der Frau, die er in einem Fastnachtsspiel von 1522 eindrücklich beschreibt: "Ein hüerli, wol usgebutzt,/ Mit siden, samet fri ufgemutzt,/ Und trat mir wie ein gräfin her,/ als ob's von gutem adel wär".
Das Karlsruher Kupferstichkabinett besitzt drei herausragende Zeichnungen des Künstlers und 17 Holzschnitte nach seinen Entwürfen.
[D.S.]