Dieser unvollendete Statuenkopf wird aufgrund zahlreicher Gestaltungskriterien, insbesondere aber wegen des typischen Kronenansatzes als Bildnis der Nofretete bezeichnet. Seit Borchardts Interpretation der farbigen Büste als Bildhauermodell wurden beide Köpfe miteinander in Beziehung gesetzt und das vollendete Werk als das Vorbild für dieses angesehen.
Auch wenn der erste Anblick der unvollendeten Königin bei vielen Betrachtern zunächst Verwunderung auslöst und auf manch einen Besucher geradezu abstoßend und verwirrend wirkt, so entfaltet sich dafür auf den zweiten Blick die Vorgehens- und Arbeitsweise der altägyptischen Handwerker in beispielhafter Weise.
Der schon sehr weit gediehene Rohling hatte im Gesicht und am Hals bereits eine sehr gute Glättung der Oberfläche erfahren, während die gröberen Meißelspuren an den Ohren und am Kronenansatz noch roh belassen wurden. Die Augen und der Augenbrauenwulst waren bereits so exakt gesetzt, dass sie als sicherer Anhaltspunkt für die weiteren Arbeiten mit akkuraten Linien eingefasst und bemalt wurden. Auch Nase und Mund sowie die Sehnen am Hals scheinen dem Ziel schon recht nahe zu sein, doch mussten neben der Ausarbeitung einiger Details offensichtlich noch Korrekturen vorgenommen werden. Um die zu bearbeitenden Stellen zu markieren, zeichnete der Bildhauer mit gekonnt gesetzten, schwungvollen Pinselstrichen die fraglichen Partien im Gesicht an. Hierzu gehörten die fehlende, leichte Furche in der Mitte der Stirn; die Lidfalten am inneren Augenwinkel; die Ausarbeitung des linken Tränensäckchens, eine Begradigung des Nasenrückens, die fehlenden Nasolabialfalten, eine Korrektur der zu voll geratenen Lippen sowie eine zartere Modellierung der leicht eingefallenen Wangen – insbesondere auf der linken Gesichtshälfte – und die fehlenden Halsfalten.
Am Kinn und um den Mund sowie an der Oberlippe kann man bereits den nächsten Abarbeitungsschritt mittels feiner, kleiner Meißelspuren erkennen. Wie viele solcher Korrekturvorgänge dieser Statuenkopf noch hätte durchlaufen sollen, kann nicht abgeschätzt werden, aber der unvollendete Kopf zeigt im Vergleich zur vollendeten Büste und zum Gipsmodellkopf der Königin (ÄM 21349), dass verlässliche Modellvorlagen in der Werkstatt unabdingbar waren, um das gesetzte Ziel eines perfekten, porträthaften, wenngleich idealisierten Abbildes der Königin zu erhalten.
Aus: Seyfried, F., in: F. Seyfried (Hrsg.), Im Licht von Amarna. 100 Jahre Fund der Nofretete, Berlin 2012, S. 338 (Kat.-Nr. 123).