Ein bärtiger Faun sitzt auf einem Felsen und umfasst gierig eine schöne, junge Nymphe. An seinen Hörnern, den tierartigen Ohren und dem Faunsterz am Rücken erkennen wir in ihm das halb menschliche, halb animalische Wesen der antiken Mythologie. Die Nymphe wehrt sich mit aller Kraft gegen seinen Zugriff. Sie stemmt ihre Füße in den Boden und versucht, sich aus der Umklammerung zu befreien. Rodin gestaltete die Ausweichbewegung der Nymphe als steil aufsteigende Diagonale.
Das scheinbar so eindeutige Werk besitzt keinen eindeutigen Titel oder vielmehr: es besitzt mehrere. Der Bildhauer selbst bezeichnete die Skulptur als Faun und Nymphe, als Jupiter Taurus oder auch als Minotaurus. Von diesem Stiermenschen überliefert die antike Mythologie allerdings keine amourösen Abenteuer. Rodins sorgloser Umgang mit den literarischen Quellen irritierte die Zeitgenossen. Der Bildhauer selbst meinte dazu im Gespräch lapidar: „Mit einem Wort, man muss den Themen, die man behandelt, nicht all zu viel Bedeutung beilegen. Zweifellos haben sie einen Wert und tragen auch dazu bei, das Publikum anzuziehen; aber die Hauptsorge des Künstlers muss darin bestehen, die Muskulatur so lebendig als möglich zu gestalten. Auf das übrige kommt es wenig an.“
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