Der kleinformatige, alt kolorierte Stich des Meisters E. S., dessen einzig überlieferten Abzug das Berliner Kabinett besitzt, zeigt die Muttergottes mit dem Jesusknaben, die dem Betrachter menschlich, ja beinahe intim gegenübertreten. Der Brokatvorhang hinter Maria ist ein traditionelles Ehrenmotiv. Der Kapellenraum verweist symbolisch auf die Vorstellung Marias als Kirche, dem Haus, in dem Christus bei seiner Inkarnation Platz genommen hat. Der Apfel in der Linken des Knaben spielt auf seine Rolle bei der Erlösung von der Erbsünde an.
Der Meister E. S. war von ca. 1450–67 am Oberrhein tätig, wahrscheinlich in Straßburg. Umfang und stilistische Vielfalt des ihm zugeschriebenen Werkes deuten auf einen größeren Werkstattbetrieb hin. Neben religiösen Andachtsbildern entstanden auch zahlreiche Arbeiten mit profanen Themen. Er gilt als der bedeutendste Kupferstecher vor Martin Schongauer. Den Beginn der Radierung setzt man gewöhnlich an die Wende zum 16. Jahrhundert. Aber an radierte, d.h. geätzte Linien erinnern auf diesem Blatt auch die breiten, an den Rändern unscharfen Striche am Mantel Marias sowie am Mauerwerk. Da die Metallätzung, etwa für die Verzierung von Rüstungen, bereits bekannt war, ist es nicht ausgeschlossen, dass der Meister E. S. um 1460 erste Versuche in der Radiertechnik anstellte.