Anton Kerner von Marilaun, Professor für Botanik, hatte Gustav Klimt 1891 beauftragt, ein Bildnis seiner Gattin Marie Kerner von Marilaun, geborene Ebner Gräfin von Rofenstein, verwitwete Gräfin von Wolkenstein, zu malen. Doch sollte Klimt die Gattin nicht nach der Natur malen, ihm wurde eine Fotografie vorgelegt, die bereits 1862 angefertigt worden war und Marie Kerner als Braut zeigte. Ein Porträt nach einer Fotografie zu malen war für Klimt kein ungewöhnlicher Auftrag, auch anderen Bildnissen aus der Frühzeit des Künstlers lagen ganz offensichtlich Porträtfotografien als Vorbilder zugrunde. Tatsächlich weist Klimts Malstil gerade in den frühen 1890er-Jahren eine besondere Liebe zum Detail auf, manche Bilder wirken fast hyperrealistisch. Andererseits gestattet er sich in seinen Darstellungen eine Vollkommenheit und Veredelung der Formen, wie sie die Realität nie erreicht. So erscheint im vorliegenden Bildnis das Gesicht der Gräfin in einem nahezu idealtypischen Oval, das vom Ebenmaß der kontrastierenden Frisur unterstützt wird. Zweifellos ist es gerade diese Überhöhung und Verfeinerung der Wirklichkeit, die Klimts gemaltes Porträt auf eine andere Illusionsebene als eine Fotografie hebt.