Zwanzig Kilometer südlich von Milet liegt Didyma, das Hauptheiligtum der Stadt. Eine ›Heilige Straße‹ verband die schon in der Archaik blühende Stadt mit dem einflussreichen Orakelheiligtum des Apollon, das in dieser Zeit einen mächtigen Tempel erhielt. Die Marmorstatue ist in Didyma während der deutschen Ausgrabungen Theodor Wiegands (1899–1913) gefunden worden. Die nackte, etwas überlebensgroße Jünglingsstatue, an der an den Armen und Beinen Teile weggebrochen sind und die an der rechten Gesichtshälfte beschädigt ist, trug einstmals ein Opfertier, einen jungen Widder oder ein Kälbchen in den Händen. Es war separat gearbeitet, was gut zu erkennen ist an der Haltebosse vor der Brust, in der drei fingerdicke Löcher und zwei flache Gusskanäle noch zu erkennen sind. Nach einem vergleichbaren Kuros aus Klaros zu urteilen, waren die Unterarme waagerecht nach vorn geführt und die Hände hielten die Hinter- und Vorderbeine des Opfertieres. Der Jüngling steht aufrecht mit vorgesetztem linken Bein, in einem Schema also, in dem die griechischen Bildhauer der Archaik in der Regel die Jünglingsstatuen, die so genannten Kuroi, gebildet haben. Und doch hat ein kaum merklicher Bewegungsrhythmus die Figur ergriffen und wirkt dem starren und konventionellen Standmotiv entgegen. Der Kopf ist leicht nach links gedreht; die Schulter und damit auch die linke Seite des Oberkörpers sind zurückgenommen, führen also in die Tiefe. Es entsteht so eine leichte Schrägwendung des Körpers, die sich auch an der Rückenpartie deutlich abzeichnet. Die zurückgenommene linke Oberkörperseite korrespondiert gegenläufig mit dem vorgesetzten linken Bein und bringt damit einen spannungsvollen Rhythmus in die Figur. Diese Verteilung der Körperlast ist auch an den Hüften spürbar. Besonders die Rückseite der Figur zeigt eine unterschiedliche Ausarbeitung der Glutäen (Gesäßmuskel): die linke Seite ist muskulöser ausgebildet und deutet so die stärkere Bewegung des vorgestellten linken Beines an; auch staut sich über dem zurückgesetzten rechten Bein die Linie der Hüfte stärker. Die Schwingungen des Körpers gehen einher mit den äußerst sanften Oberflächenbewegungen und den wenigen eingebrachten Akzentuierungen: die leicht durchschwingende Medianrinne und die Schlüsselbeine unterstützen leise diese Körperbewegung. Körperdetails wie die Brustwarzen sind plastisch kaum herausgearbeitet. Sie waren ebenso wie die der modischen Gestaltung unterliegende Darstellung des Schamhaares in Malerei ausgeführt und durch ein umrahmendes rosettenartiges Ornament hervorgehoben; an den Ohren trug der Jüngling aufgemalte Scheibenohrringe. Die ostionische Kunst ist durch den nackten Jüngling aus Didyma gut fassbar; die Statue wird in einer milesischen Werkstatt zwischen 530–520 v. Chr. gearbeitet sein.