„Im Augenblick begeistert ihn sein Kindchen, und sein harter Stil wird zartklare Durchsichtigkeit, indem er es malt, radiert, zeichnet. Man kann sich bei Dix auf Alles gefasst machen – und wird doch noch seine Überraschung erleben. Er braucht den weiten Spielraum und hat die Extravaganz im Blute“, so der Kunsthistoriker Willi Wolfradt 1924. Dix malte dieses erste Porträt seiner Tochter Nelly in Blumen im Sommer 1924. Noch im selben Jahr in Büchern publiziert, gilt es seitdem als eine der Inkunabeln der Zeit des nachexpressionistischen Malstils und zu den am häufigsten abgebildeten Gemälden der 1920er-Jahre. Nelly in Blumen ist im Werk von Dix ein außergewöhnliches Bild. Es ist frei von den oft und vor allem durch den Krieg beeinflussten zynischen, satirischen, bisweilen drastischen Bilderzählungen des Künstlers. Nichts ist von dem dramatischen Zeitgeschehen Mitte der 1920er-Jahre zu spüren, allein die einjährige Tochter des Künstlers wandert wie ein verträumtes, aber zugleich waches Kind durch einen dichten Blumenwald, umgeben von Natur und Glückseligkeit. Und dennoch ist mit der Wahrnehmung eines vordergründigen Idylls auch die so charakteristische Doppelbödigkeit in den Arbeiten von Dix verbunden. Das Gesicht, zum Porträt einer Puppe erstarrt, spiegelt Kindsein und Alter zugleich. In ihm ist nicht nur der Ausdruck von Kindlichkeit zu finden, sondern auch etwas Konzentriertes, eine fast dramatisch anmutende Menschlichkeit. Und Dix als ein scharfer Beobachter des Menschlichen geht in der romantischen Empfindung und Wahrhaftigkeit für Nelly über die eigentliche Dimension der Neuen Sachlichkeit und ihrer formalen Direktheit hinaus. Ein tief empfundener Sinn für die akademische Malerei in jeder Art von Stofflichkeit ist bei diesem Gemälde von Dix besonders fein entwickelt, jedes Detail, niederländischer Stilllebenmalerei vergleichbar, wurde herausgearbeitet. Gleichzeitig drängt sich bei dem kleinen Mädchen mit der Blume die Nähe zu Philipp Otto Runges Hülsenbeckschen Kindern auf. Diese stilistischen „Rückgriffe“ von Otto Dix in die Kunstgeschichte, bisweilen zurück bis in die Zeit von Dürer und Altdorfer, sind für den Künstler nicht ungewöhnlich. Im Gegenteil, sie begegnen uns neben der maltechnischen Referenz als eine von Dix gewollte Interpretationsvorgabe seiner Kunst. Die Werke von Dix erhalten damit etwas Historisierendes und in dem parallel exzessiv gelebten Expressionismus etwas Verklärendes, aus dem Gefühl heraus, eine etwas andere Realität und damit eine andere Sachlichkeit zu zeigen.