Dürers Interesse am Akt war neu für den Norden. Eigene Beobachtungen und italienische Kupferstiche waren Quelle und Ansporn seiner Kenntnis. Erstaunlich ist, daß er sich nicht mit umfassenden Modellstudien begnügte, sondern als forschender Geist sogleich weiter fragte nach dem Gesetz, das jedem Körper eingeboren ist. Auch dieser Gedanke war schon der Antike geläufig; Vitruv forderte z.B., bei einem vollkommen schönen männlichen Körper müßte der Kopf 1/8 der Gesamtlänge haben, das Gesicht 1/10. Auch Dürer ging es zunächst nur um die Verhältnisse eines Idealtyps. Wie die Alten die größte Schönheit in ihrem Gott Apollo gesehen hätten, so sollten wir sie in Christus suchen; oder die Schönheit von Venus sei auf die Jungfrau Maria zu übertragen. Die Stelle des antiken Herkules könne der biblische Samson einnehmen.
Die vorliegende Zeichnung gehört zu den unendlich gewissenhaften Konstruktionsversuchen der frühen Zeit um 1500. Im Gegenlicht sind viele Zirkeleinstiche sichtbar, an Gesicht, Brust und Knien konstruierte Hilfslinien. Die Beigaben Schlange und Glas sind zufällig, sie sind als Attribute nicht ernst zu nehmen, sie sollen das Trockene derartiger nur errechneter Figuren etwas mildern. Auch der grünblau getuschte Grund, den Dürer oft bei männlichen Proportionsfiguren verwendete, will nichts als die Figuren besser hervortreten lassen, das nüchterne Blatt ansehnlicher machen.
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