Papst-Vatizinien (Papst-Weissagungen) entwickelten sich im 13./14. Jahrhundert in Italien im Kreise der oppositionellen Franziskaner-Spiritualen, als diese in erbittertem Gegensatz zu traditionellen Kreisen der Kirche standen. Die Vatizinien wurden zunächst als Streit- und Anklageschrift verbreitet. Die bildlichen Darstellungen zeigen meist einen Papst mit exemplarischen Attributen, Tieren, Gegenständen, Figuren, teils bei bestimmten Handlungen. Dabei sind die Bilder von Anfang an vom zugehörigen Text relativ unabhängig. Der vielfach überlieferte Text und die zugehörigen Bilder weisen auch in dieser Münchener Handschrift häufig Fehler und Ungenauigkeiten auf. Das große Interesse außerhalb Italiens fand der Text nach 1400 infolge der Erschütterungen durch das große abendländische Schisma und die Reformbestrebungen. In diesem Zusammenhang steht auch diese um 1430 in Salzburg entstandene Handschrift.
Blatt 1v: Papst Martin IV. (1281 – 1285, hier ist im Text eine falsche Regierungszeit ab 1280 angegeben) war ein Förderer der Anjou von Neapel-Sizilien und Gegner der Staufer und der mit ihnen verwandten sizilianischen Aragonesen. Hier durchbohrt er mit der Lanze den kaiserlichen (staufischen) bzw. den aragonesischen Adler.
Blatt 2r: Auf der gegenüberliegenden Seite erkennt man die „bestia terribilis“, den Antichrist, der als Nachfolger Papst Gregors XI. (1370 – 1378) vor dessen Tod prophezeit wurde. Dieser wird als apokalyptisches Tier gezeigt, das auf das abendländische Schisma verweist, das unter Papst Urban VI. (1378 – 1389) begann.