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Bericht über das KZ-Außenlager Wöbbelin

Werner T. Angress1945-05-07

Jüdisches Museum Berlin

Jüdisches Museum Berlin
Berlin, Deutschland

Bericht von Werner T. Angress (1920-2010): maschinenschriftlich, engl., Ludwigslust, 07.05.1945.

In dem Bericht schildert Angress die Befreiung des KZ-Außenlagers Wöbbelin und die Beerdigung verstorbener Häftlinge. Er schickte den Bericht an Curt Bondy in den USA, mit der Bitte, ihn der Öffentlichkeit bekannt zu machen.

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  • Titel: Bericht über das KZ-Außenlager Wöbbelin
  • Ersteller: Werner T. Angress
  • Datum: 1945-05-07
  • Ort: Ludwigslust
  • Abmessungen: 28 x 21,5 cm
  • Ausgangssprache: englisch
  • Herkunft: Schenkung von Werner T. Angress
  • Transkript:
    Irgendwo in Deutschland 7-5-45 Heute haben wir die Toten begraben, die wir in dem Konzentrationslager vor unserer Stadt gefunden haben. Wir begruben sie auf dem Hauptplatz der Stadt, gegenüber dem großherzoglichen Schloss, und alle Einwohner sowie die gefangenen Generäle und höherrangigen Offiziere mussten zuschauen. Bevor ich ins Detail gehe, würde ich Euch gerne einige Worte über das Konzentrationslager sagen. Wir fanden es außerhalb der Stadt, am Rand der Landstraße, auf einer Waldlichtung. Es ist nur ein kleines Lager mit etwa zehn Gebäuden hinter dem typischen Stacheldraht, 2.000-3.000 Arbeitssklaven wurden dort gefangen gehalten. Es ist das Furchtbarste, was ich je gesehen habe. Alles starrte vor Dreck und stank nach Verwesung, nach Leichen und verschimmelten Rüben; abgenagte Rüben lagen auf den Barackenböden, zusätzlich zum Schmutz und zu den Leichen der Häftlinge. Wir fanden sie überall; aufeinander gehäuft; in der Latrine, im sogenannten Waschraum, in den Ecken der Baracken. 200 Tote lagen da, nicht begraben, einfach zu Tode gehungert. Die Glieder, zum Teil schon von den Körpern gelöst, waren dünn wie Stöcke. Es war ein abstoßender, widerwärtiger Anblick. Ihre Körper waren eingeschrumpft, nur Haut und Knochen. Und über tausend weitere Leichen wurden gerade von den deutschen Einwohnern aus Massengräbern exhumiert, als ich dort war. Aber sechs Kilometer entfernt lebten Leute in einer Stadt so gut, wie man es sich nur vorstellen kann, ein bisschen rationiert, aber ohne zu leiden, in hübschen Häusern, mit Hunden und Katzen, die ihr Futter bekamen, und mit guten Kleidern. Ich stieß in dem Lager auch auf einige Überlebende und sprach mit ihnen. Sie trugen immer noch ihre gestreiften Anzüge, sie sahen mehr tot als lebendig aus, und ihre Gesichter, egal wie alt, wirkten greisenhaft. Sie zeigten mir ihre Nummern, die auf ihre Arme tätowiert waren, sie erzählten mir von ihrem Leid, und selbst wenn sie es nicht getan hätten, sprach der Anblick selbst lauter, als diese Menschen es konnten. Ich möchte Euch nicht noch mehr erzählen. Es ist ein Schmutzfleck in der Geschichte Deutschlands, der sich niemals wieder tilgen lässt. Die Begräbniszeremonie war recht eindrucksvoll. Die Einwohner waren versammelt und mussten die Reihen der Toten abschreiten, die neben ihren Einzelgräbern lagen. Ihre Gesichter waren unverhüllt, die Körper mit weißen Laken bedeckt, die von der Stadtbevölkerung zur Verfügung gestellt werden mussten. Wir Soldaten standen an den Gräbern aufgereiht, hinter den weißen Kreuzen. Männer, Frauen und Kinder schritten vorbei, ihre Köpfe unbedeckt, ihre Mienen entweder traurig oder mürrisch. Manche weigerten sich. Wir zwangen sie. Danach gingen sie alle zurück auf ihre Plätze gegenüber vom Friedhof, und der Bürgermeister der Stadt hielt eine kleine Ansprache. Er sagte, es sei Aufgabe der Menschen von X, diese Taten wiedergutzumachen, und dass alle anständigen Menschen und Christen darüber entsetzt und betrübt seien. Er sah lächerlich aus mit seinem weißen Haar und schwarzen Zylinderhut, wie er in das Megafon sprach, das einer unserer Offiziere ihm hinhielt. Nach seiner Rede wurden die Toten in ihre Gräber gelegt, während die Kapelle Trauermusik spielte. Ich vergaß die Gruppe deutscher Offiziere zu erwähnen, angeführt von fünf Generälen, die steif vor den Stadtbewohnern standen und mit versteinerten Gesichtern ins Leere starrten. Ich hätte gerne gewusst, was sie dachten. Ihre Gesichter verrieten nichts. Vor ihnen, mit Blick auf die Gräberreihen, standen unsere zwei Generäle und ihr Stab. Als die Leichen eingesenkt waren, sprachen die Geistlichen Gebete für die protestantischen, katholischen und jüdischen Opfer, und einer von ihnen las eine Rede auf Deutsch und Englisch, in der er noch einmal die Geschichte erzählte und erklärte, warum diese Menschen mitten in der Stadt begraben wurden. Er sagte, es sei das Verbrechen eines jeden Deutschen, verübt von grausamen Wachleuten und gleichgültig geduldet vom Volk. Er ermahnte die Leute, niemals wieder zuzulassen, dass irgendeine Partei oder irgendein Mann an die Macht käme und derartige Dinge tun könne. Er appellierte an den menschlichen Anstand, für diese Verbrechen zu sühnen. Unsere Nationalhymne folgte. Wir salutierten, und ebenso die deutschen Offiziere, während die Hymne erklang. Dann bliesen die Hörner den Zapfenstreich. Das war das Ende der Zeremonie. So wurden 200 Menschen beerdigt. Niederländer, Franzosen, Polen, Russen und Juden, begraben von ihren vormaligen Verfolgern und von den amerikanischen Befreiern, die für sie zu spät gekommen waren, inmitten einer deutschen Stadt. W[erner] T[om] A[ngress]
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  • Typ: Brief
  • Rechte: Leo Baeck Institute (Dependance Jüdisches Museum Berlin)
  • Inventarnummer: LBI-2009/1/7
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