Innerhalb der deutschen Kunstgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts treten nur wenige Frauen als anerkannte Künstlerinnen und erfolgreiche Unternehmerinnen hervor. Vom Unterricht an den Akademien weitgehend ausgeschlossen und meist als Amateurinnen betrachtet, hatten sie es schwer, sich gegen die männliche Dominanz auf dem Kunstmarkt durchzusetzen. Viele erfolgversprechende Karrieren endeten, bevor sie eigentlich beginnen konnten.
Zu den Ausnahmeerscheinungen im frühen 19. Jahrhundert zählt die Konstanzer Malerin Marie Ellenrieder. Nach einer Lehre als Miniaturmalerin wurde sie 1813 als erste Frau an der Münchner Akademie zugelassen. Anschließend verbrachte sie einige Studienjahre in Rom und Florenz, bevor sie 1829 zur Hofmalerin des Badischen Großherzogs ernannt wurde. Unter dem Einfluss der kunstreligiösen Gruppe der Nazarener um Friedrich Overbeck in Rom entwickelte Ellenrieder ihr Ideal einer streng katholischen Historienmalerei. Neben Kopien nach Gemälden der italienischen Renaissance entstanden zahlreiche in klassizistischer Manier gemalte Heiligenbilder, Madonnendarstellungen und ganze Altäre, die ihr den Ruf einer tugendhaft-frommen Malerin einbrachten. Wurden ihre Werke gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland noch hoch geschätzt, stieß im 20. Jahrhundert insbesondere die süßliche Devotionalienkunst ihres Spätwerks zunehmend auf Kritik.
Über diesem Bereich ihres Schaffens darf nicht vergessen werden, dass Ellenrieder seit ihrer Jugend eine besondere Begabung für die Porträtmalerei aufwies, die sich in zahlreichen charaktervollen und unmittelbaren Bildnisdarstellungen niederschlug. Sie vermochte es, mit feinem Gespür die individuelle Gestimmtheit der Dargestellten zu erfassen und diese mit den repräsentativen Eigenschaften des Porträts zu verbinden. Unter diesen Arbeiten findet sich auch eine Handvoll Selbstbildnisse, die zu den privatesten Zeugnissen der Künstlerin gehören.
Das 1818 entstandene Gemälde aus der Sammlung der Kunsthalle zeigt die 27-Jährige am Beginn ihrer vielversprechenden Karriere, kurz nach ihrem Studium an der Münchner Akademie. Ellenrieder verzichtet auf alle Attribute einer Malerin und folgt dem Typus des bürgerlichen Porträts, wie er sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts zunehmend herausgebildet hatte. Bildfüllend nah und doch vornehm zurückhaltend zeigt sie sich vor neutralem Grund. Ihr aufmerksamer Blick scheint gleichermaßen nach außen wie nach innen gerichtet zu sein. Die dunklen Locken ihrer kunstvoll arrangierten Hochsteckfrisur sowie das mit einem hauchzarten Spitzenkragen verzierte schwarze Kleid lenken den Blick des Betrachters auf das fein modellierte helle Inkarnat. Einen Blickfang bildet das an einer doppelreihigen Goldkette hängende Perlenkreuz, das die Mittelachse der Komposition auffallend betont. Bescheiden im Format und zurückhaltend in der Inszenierungsform gibt das Porträt Auskunft über den Charakter der Dargestellten, die von Zeitgenossen als äußerst bescheiden und tief religiös beschrieben wurde.