Das Hohelied Salomos aus dem Alten Testament ist eine Sammlung von Liebesliedern, die man im Mittelalter allegorisch interpretierte. Der Bräutigam steht für Christus, die Braut für die Kirche. Ein Maler aus der Frühphase des Reichenauer Skriptoriums setzte diese Deutung in ungewöhnliche Bilder um.
Zum gekreuzigten Christus in der rechten oberen Ecke der linken Seite bewegt sich eine lange Prozession von Gläubigen. Sie wird angeführt von einer Frau, die mit der linken Hand auf Christus weist und in der rechten einen Kelch hält. Es handelt sich also um die Kirche, die in der Eucharistie an das Leiden Christi erinnert.
Im Anfangsbuchstaben O des Hohelieds auf der rechten Seite thront der segnende Christus, dem sich der Zug der Auserwählten nähert. Die purpurn eingefärbten Blattränder erhöhen die Wirkung des Goldgrunds.