Die griechische Gesellschaft der archaischen Zeit war in vielen Landstrichen bäuerlich geprägt. Große Herden bestimmten das Ansehen des Einzelnen. Kein Wunder, wenn in dieser Gemeinschaft das Bild des Hirten eines der wichtigsten Motive war, das in der Plastik entwickelt wurde. Das Bild des Hirten, der ein Schaf trägt, enthält aber zwei Aussagen; einmal ist es der fürsorgliche Bewahrer der Herde, zum anderen der Mann, der ein Schaf zum Heiligtum trägt, um es der Gottheit zu opfern. Vergegenwärtigen wir uns, dass sich an das Opfer der Festschmaus anschloss, so um fasst das Motiv des Hirten das ganze Spektrum ländlichen Lebens. Die Statuette stammt aus Kreta, einem Gebiet, das im zweiten Jahrtausend v. Chr. entscheidend von der minoischen Kultur geprägt wurde. Nachklänge dieser Kunsttradition lässt auch unser junger Mann erkennen in dem Hüftschurz mit dem breiten Gürtel und den abrupt seitlich gewinkelten Armen. Die Figur mit den kraftvollen, doch schlanken Beinen und dem muskulösen Oberkörper strahlt eine ungeheure Spannkraft aus. Das Werk ist massiv gegossen mit einer Standplatte unter den Füßen. Das darunter folgende Gebilde ist ein Relikt des Gussvorganges, nämlich der Einfülltrichter. Üblicherweise haben die Bronzegießer alle Spuren des Herstellungsprozesses sorgfältig beseitigt. Warum dies hier nicht geschehen ist, bleibt unklar. In dem Widderträger haben wir ein ganz individuell gestaltetes Kunstwerk vor uns. Und doch lässt sich hier eine gewisse Normung erkennen. So wurde das Wachsmodell aus Einzelteilen zusammengesetzt, was vor allem an den Armen und dem Widder zu sehen ist. Allem Anschein nach wurden diese Teile als Wachsform aus Tonformen gezogen und dann dem Hirten an die Schultern gesetzt, so dass wir es mit einer Mischung von Serienproduktion und individueller Künstlerschaft zu tun haben. Eine solche Technik kennen wir von ägyptischen Kleinbronzen, doch lässt sich nicht sicher beweisen, ob wir es hier mit einem direkten Technologietransfer über die griechischen Siedlungen im Nildelta zu tun haben.