Die Gotthardpost

Die Gotthardpost ist eines der populärsten Gemälde der Schweizer Kunst, denn es zeigt wesentliche Aspekte des Alpenstaates auf. Die Postkutsche, heute Inbegriff romantischer Beschaulichkeit, konnte damals erst seit wenigen Jahrzehnten den Pass überqueren. Die neue Fahrstrasse wurde als technische Meisterleistung gefeiert. Die durch sie ermöglichte Beschleunigung veranschaulicht Koller, indem er das Gefährt in rasanter Talfahrt eine Kuhherde überholen lässt. Die unterschiedlichen Bewegungsabläufe der langsamen Kühe und der schnellen Kutsche steigern den dramatischen Effekt. Eine anekdotische Zuspitzung dieser Beschleunigung erreicht Koller mit dem in Panik geratenen Kälbchen. Auf der steilen Zickzacklinie der Passstrasse bewegt sich das Gespann direkt auf den Betrachter zu. In voller Fahrt und hochbeladen droht es, über die Kurve hinauszuschiessen, wie der Bewegungsimpuls der Peitsche anzudeuten scheint.
Doch Koller gibt hier keineswegs ein realistisches Bild des Transportunternehmens wider. Eine erste Bildidee mit rastenden Gästen kam dem verlässlichen und sicheren Transportmittel da schon näher. Immerhin transportierte die Gotthardpost über 70'000 Reisende jährlich über den 2100 Meter hohen Pass.
Kollers Gotthardpost war ein Auftragswerk der Schweizerischen Nordostbahn, ein Abschiedsgeschenk an den scheidenden Alfred Escher. Dieser massgebliche Schweizer Wirtschaftsführer wandte sich in jener Zeit der Gründung und Finanzierung der Gotthardbahn zu. Koller hat den Modernisierungsschub der Eisenbahn absichtsvoll nicht direkt ins Bild gesetzt, sondern schuf eine Allegorie auf die Beschleunigung der Transportmittel.
Der Maler selbst mochte das Bild nicht besonders und liess verlauten, der Titel sei eigentlich das Beste daran. Doch das Gemälde erfreute sich stets grosser Beliebtheit. Die Gründe liegen sicherlich auch in dem Assoziationsspektrum des Themas: Der Gotthard ist Sinnbild für die geglückte und sichere Alpenüberquerung, für die bewundernswerte Ingenieurleistung eines Eidgenossen, die absichtsvoll nicht zum Bildthema erhoben wird. Und schliesslich symbolisiert der Gotthard die Erhabenheit der alpinen Bergwelt. Alle diese Aspekte charakterisieren Eigen- und Errungenschaften der jungen Nation Schweiz und ermöglichen so einen Begriff von Heimat.