»Den Sieg des preisgekrönten Tragödiendichters Agathon zu feiern, sind in seinem Hause die Freunde versammelt... Während sie sich nach dem Mahle in sinnvollen und heiteren Wechselreden ergehen über die Natur des mächtigsten und herrlichsten der Götter, des Eros, erscheint, von nächtlichem Feste heimkehrend, in bacchischem Geleite der wein- und lustberauschte Alkibiades. Er kommt, den Dichter zu bekränzen,welcher ihm freundlichen Willkomm bietet.« So formulierte Henriette Feuerbach das in Platons philosophischem Dialog »Das Gastmahl« vorgefundene Sujet. Heimlicher geistiger Mittelpunkt der Szene ist der von ihr still abgewandte Sokrates. Die Spannung zwischen sinnlichem Genuß und philosophischer Spekulation wird anschaulich in dem Kontrast zwischen beiden Bildhälften. In der Mitte steht, vermittelnd und zugleich unentschieden, der lorbeerbekränzte Gastgeber. Eine verspätete Programmerklärung des klassischen deutschen Bildungsideals, ein Epochenentwurf – die Blüte griechischer Kultur – und ein subjektives Bekenntnis, ein Exempel monumentaler Raumkunst, das nur noch im Museum seinen Platz finden kann: »Das Gastmahl« hat Feuerbach zwanzig Jahre lang beschäftigt. Nach einer ersten Idee im Jahr 1854,muß 1860 die Komposition in ihren wesentlichen Zügen festgestanden haben, fünf Jahre später war ein großer Farbentwurf fertig; eine erste großformatige Bildfassung (Karlsruhe, Staatliche Kunsthalle) entstand von 1867 bis 1869. Das Echo war geteilt:Man erschrak vor dem kühlen Kolorit ebenso wie vor dem ›häßlichen‹ Modellrealismus. Die bald darauf begonnene zweite Fassung ist in Architektur, dekorativem Detail und Kostüm nachdrücklich im Sinne des gründerzeitlichen Neubarocks bereichert; der von Kindern ausgebreitete schwere Blumenkranz ist neu hinzugekommen und findet ein Echo in den Fruchtgirlanden des gemalten Rahmens, der gleichfalls eine Zutat ist. Der Sinn der neuen Motive aber erschöpft sich keinewegs in der Bereicherung; denn sie deuten alle symbolisch auf antike Opferbräuche und namentlich auf den Dionysoskult hin und unterstreichen die in der Komposition selbst mehrfach enthaltenen Anspielungen auf Dionysisches. Diese konzentrieren sich in der Figur des Alkibiades, einer Identifikationsfigur Feuerbachs. Im Kontrast zwischen ihrer Vitalität und der form- und geistbetonten Erscheinung des Agathon ist der innere Konflikt des Künstlers, der Kunst und der Zivilisation überhaupt gestaltet.