Rangstreit
Es mag nicht sehr sinnvoll erscheinen, die Künste gegeneinander auszuspielen, welche wohl die erhabenste sei, und doch wurde der Versuch immer wieder unternommen und zugunsten der eigenen Fakultät entschieden.
Die Musiker führen an, ihre Kunst sei die höchste, weil sie sich an den durchgeistigtsten Sinn, das Gehör, wendet.
Die Architekten können für sich ins Feld führen, sie seien die Wichtigsten, weil ohne ihre Werke überhaupt keine Kultur Bestand hätte, weil es hineinregnen würde.
Die menschenfreundlichste Kunst ist zweifellos die Malerei: Ein kurzer Blick auf ein Bild lässt schon erkennen, ob es sich lohnt hinzuschauen, während man zum Beispiel einen Roman mindestens bis Seite fünfzig, und dann noch ein Stück vom Schluss lesen sollte, um sich ein ungefähres Urteil erlauben zu können, von Konzert und Theater gar nicht zu reden, wo man mehr oder weniger eingesperrt mindestens bis zur Pause auszuharren hat, auch wenn man längst zur Überzeugung gekommen ist, dass es schade um die Zeit sei.
(Text: Wolfgang Lettl)